Tabu: Thriller
unsicher war. »Jetzt hör mal zu: Es wäre eine Katastrophe, Strøm zu verhaften, bevor wir sicher sind, dass er wirklich unser Mann ist. Denkt doch mal nach! Die Presse würde Amok laufen. Und Karianne Li wird uns vor dem Haftrichter den Arsch aufreißen – entschuldigt den Ausdruck. Wir haben nichts in der Hand! Und sollte es uns aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz doch gelingen, würde sie auf der Stelle Berufung einlegen. Wir können uns ja wohl alle ausmalen, wie die Sache ausgeht, wenn wir mit dieser vagen Anschuldigung vor die Große Strafkammer müssen. Nein, wenn wir in diesem Fall einen Verdächtigen verhaften wollen, müssen wir uns wirklich sicher sein, dass er der Täter ist. Sicher! Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass wir jeden festnehmen, der uns in die Quere kommt, jeden, hinter dem wir Aquarius vermuten! Zuerst müssen wir wirklich etwas gegen ihn in der Hand haben. Irgendetwas, das vor Gericht standhält.«
»Ich weiß, dass er es ist!«, sagte Antonsen leise. »Ich weiß das so sicher, wie die Erde rund ist.« Er blickte auf. »Dann liegt die Beweislast also bei uns.«
»Na, dann viel Glück«, seufzte Vang.
Rune Strøm verließ das Präsidium am gleichen Tag um sechzehn Uhr in Begleitung seiner Anwältin Karianne Li.
Acht Minuten später parkte ein ziviler Einsatzwagen mit getönten Scheiben zwanzig Meter oberhalb der Einfahrt seines Hauses.
3
Vang wurde eine Viertelstunde später zum Polizeipräsidenten, einem überraschend kleinwüchsigen, schmächtigen Mann, zitiert. In den Medien wirkte er immer groß und kräftig mit dunklem Blick und tiefer Stimme, aber Uniform und Kamerawinkel waren trügerisch. Er war ein Zwerg, wenn auch ein Zwerg mit Autorität, jemand, den alle respektierten.
Vang hatte keine Angst vor ihm. Aber er fühlte sich in der Gegenwart des Präsidenten unwohl. Als Vang den Stuhl zurückzog und sich setzte, schoss ihm ein Bild durch den Kopf: ein ungehorsamer Schüler beim Direktor.
Der Polizeipräsident hatte Wind davon bekommen, dass sie einen Verdächtigen hatten – »den ersten Verdächtigen«, bemerkte er derart zweideutig, dass Vang nicht wusste, ob es als Kritik oder Lob aufzufassen war. Vang bekundete sein Bedauern, den Präsidenten nicht früher informiert zu haben, aber das sei darauf zurückzuführen, dass die Strøm-Spur noch sehr frisch und vermutlich nicht wirklich tragend sei. Er unterrichtete seinen Vorgesetzten über die aktuelle Entwicklung und ließ seine eigenen Zweifel nicht aus.
Der Polizeipräsident lehnte sich zurück, fuhr sich über den schwarzen Bart und seufzte theatralisch. Es überraschte Vang, als er erkannte, dass der Blick seines Vorgesetzten belustigt war. »Ja, ja, ja, Vang… Sie wissen ja, wie das ist. Der Staatssekretär aus dem Justizministerium ruft mich zweimal täglich an, um zu erfahren, wie es aussieht. Jedes zweite Mal betont er, wie sehr dem Minister daran gelegen ist, dass wir unsere Ressourcen richtig einsetzen. Ha ha! VG hat eine neue Serie begonnen. Unter der Überschrift: Fragen, die der Polizeipräsident nicht beantworten will, aber das haben Sie ja bestimmt selber gelesen. Ich werde zu allen möglichen Nachrichtenjournalen und Talkshows eingeladen und von sämtlichen Lokalradiosendern belagert. Wenn ich also ungeduldig wirke, dann nicht, weil ich nicht verstehe, wie mühsam die Ermittlungsarbeit in dem Fall ist. Herrgott, Vang, ich habe genug schwierige Fälle hinter mir, um zu wissen, in welcher Klemme Sie stecken. Aber wenn wir einen Verdacht haben – und sei er noch so klein -, sollten wir diesem wirklich auf den Grund gehen. Wir müssen zeigen, dass wir etwas tun, jeden Stein umdrehen, nicht im Dunkeln tappen.«
»Natürlich.« Genau das tun wir doch .
»Hat er schon einen Rechtsanwalt?«
»Karianne Li.«
»O mein Gott! Das Fräulein Förmlich! Eine schreckliche Frau. Scharf und alles andere als verhandlungsbereit.«
»Das habe ich schon bemerkt.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gelacht und praktisch darum gebeten, dass wir Strøm verhaften. Ich glaube, sie würde sich freuen, uns vor dem Haftrichter wiederzusehen.«
»Typisch Karianne.« Der Präsident hätte beinahe etwas gesagt, verkniff es sich aber. »Wie sieht die weitere Strategie aus?«
»Wir haben vor, Rita Quist für morgen ins Präsidium zu bestellen, Strøms Alibi. Wollen sie in die Mangel nehmen, um zu sehen, ob nicht vielleicht etwas Spannendes dabei rauskommt. Sollte sich zeigen, dass sie gelogen hat, wird
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