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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Pittler
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nicht gesagt, Oberst? Ich wusste doch, stille Wasser sind tief und so. Wissen wir auch, wer es ist?“
    „Ja.“
    „Na spann mich nicht auf die Folter. Wer ist es?“
    „Der Junior!“
    „Ned wahr!“
    „Doch. Eben jener.“
    „Das würde ja bedeuten, dieser Fall wird nicht nur immer komplizierter, er wird auch immer komplexer. Der politisch motivierte Holzer …“ Es tat doch immer wieder gut zu merken, dass der Assistent dieselben Schlüsse zog wie man selbst – vor allem, wenn er dies einige Minuten nach einem selbst tat.
    Cerny hatte sein Echo auf Bronsteins Gedanken mit einem „Na servas!“ beendet und fragte nach einer kleinen Pause: „Und was machen wir jetzt?“
    Bronstein blickte auf die Uhr: „Für heute einmal Feierabend. Es ist ja schon fast sechs. Überschlafen wir die ganze Sache einmal in Ruhe, und treffen wir uns morgen Punkt neun Uhr zum Besprechen der weiteren Strategie. Was meinst?“
    „Das passt mir perfekt, weil ich hab meiner Frau heute in der Früh versprochen, dass ich nicht zu spät nach Hause komm.“
    „Na dann ab die Post. Schönen Abend noch.“
    Cerny erhob sich und strebte ohne Umwege dem Ausgang zu. Bronstein rauchte seine Zigarette in aller Ruhe zu Ende, dämpfte sie aus und verließ dann ebenfalls das Büro.
    Auf dem Weg nach Hause fragte er sich, ob es ihn störte, dass Cerny gar nichts an ihm aufgefallen war. Klar, Cerny war so in den Fall vertieft gewesen, dass es ihm nicht in den Sinn gekommen war, Bronstein eingehender zu betrachten. Und eigentlich war das ja auch gut so, denn zweifellos gehörte es nicht zu perfekter Ermittlungsarbeit, mit potenziellen Zeuginnen zu schlafen. Andererseits hielt Cerny ihn wohl seit Jahr und Tag für einen hoffnungslosen Fall, der wohl niemals mehr die Wonnen der Erotik am eigenen Leibe würde verspüren können, und da wäre es doch schön gewesen, auf diese Weise dem Kollegen das Gegenteil zu beweisen. Aber egal, Hauptsache, er wusste, dass noch nicht aller Tage Abend war.
    Eigentlich sollte er diesen Erfolg feiern, dachte Bronstein. An einem solchen Tag ging man nicht einfach nach Hause, nein, man gönnte sich ein feines Abendessen, denn wenn einem das Leben schon einmal zulächelte, dann lächelte man am besten zurück. Bronstein marschierte kurz entschlossen Richtung Innenstadt und strebte der Kärntner Straße zu. Die nächsten zwei Stunden tat er nichts anderes, als sich allen möglichen lukullischen Genüssen hinzugeben. Dabei hatte er wohl auch ein klein wenig zu viel an alkoholischen Getränken konsumiert, denn als er sich auf den Heimweg machte, da spürte er die Wirkung des Weins recht intensiv. Er kam schweren Schritts zurück in seine Wohnung, und anstatt noch einmal die Höhepunkte dieses Tages vor seinem geistigen Auge Revue passieren zu lassen, fiel er einfach in sein Bett, und noch ehe er einen klaren Gedanken hatte fassen können, schlief er schon tief und fest, zufrieden mit sich und der Welt.

V.
Mittwoch, 4. Juli 1934
    Das Erste, das Bronstein ins Auge fiel, als er die „Wiener Zeitung“ vom Tage aufschlug, war die Todesanzeige für den alten Demand. „Tieferschüttert geben wir bekannt, dass unser innigst geliebter, unvergesslicher Gatte, Vater, Schwiegervater, Großvater“, stand da zu lesen, „uns am Sonntag, dem 1. Juli 1934, plötzlich inmitten seines ständigen Schaffens und wirkungsvollen Lebens durch den Tod entrissen wurde.“ Das haben sie aber schön gesagt, dachte Bronstein und unterdrückte ein Grinsen. Doch es kam noch besser: „Die entseelte Hülle des teuren Verblichenen wird in der Dr. Karl Lueger Gedächtniskirche auf dem Wiener Zentralfriedhofe aufgebahrt, dortselbst Donnerstag, dem 5. Juli 1934, um 12 Uhr 10 feierlich eingesegnet und sodann auf demselben Friedhof nach nochmaliger Einsegnung in der Familiengruft zur ewigen Ruhe gebettet. Wer den Verblichenen kannte, wird ermessen, welch schweren, unermesslichen Verlust wir erlitten haben. Die tieftrauernden Hinterbliebenen.“ Selbst Münchhausen hätte nicht trefflicher lügen können, dachte Bronstein bei sich und zündete sich eine „Donau“ an. Doch mit dieser Parte hatte es keineswegs sein Bewenden. Auch die Arbeiter und Angestellten hatten sich mit einer eigenen Traueranzeige eingeschaltet, die sie mit den Worten enden ließen: „Sein Geist wirkt weiter in uns.“ Und schließlich gab auch noch der „Großschlächterverband“ namens seiner Mitglieder bekannt, „dass sein Präsident, Großschlächter und Wurstfabrikant

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