Tacheles
Emanuel Demand, plötzlich aus dem Leben abberufen wurde.“ Seit der Gründung des Verbandes habe er die Stellung des Präsidenten auf das Vortrefflichste bekleidet, hießes in der Parte weiter, man verliere in ihm den treuesten Anwalt der Interessen des Verbandes: „Ehre seinem Angedenken.“
Anscheinend hatte Demands Tod doch einigen Staub aufgewirbelt. Vielleicht sollten Cerny und er am folgenden Tag auf das Begräbnis gehen, es mochte nicht uninteressant sein, wer dort erschien und wie sich wer dort verhielt. Vor allem würde es spannend sein, die junge Demand und den jungen Demand dort zu beobachten.
Bronstein blätterte zurück auf Seite 10, wo er erfuhr, dass Rapid am Sonntag im Mitropacup gegen Bologna, den zweifachen italienischen Meister, antreten würde. Nun, wenn er nichts Besseres vorhaben sollte, dann konnte er sich immerhin die Radioübertragung dieses Spiels anhören, das würde ihn wenigstens auf andere Gedanken bringen.
Bronstein warf einen kurzen Blick auf die „Filmschau“, doch keiner der dort behandelten Streifen sprach ihn sonderlich an. Das Kino würde auch weiterhin ohne sein Eintrittsgeld auskommen müssen – obwohl: Immerhin wurde ein neuer Tom Mix angekündigt, der in der Folgewoche anlaufen sollte. Vielleicht sollte man sich doch wieder einmal einen Western ansehen, schon allein, um dem alten Haudegen Mix noch einmal die Ehre zu erweisen.
Siedend heiß fiel ihm an dieser Stelle ein, dass er sich mit Cerny zur Lagebesprechung verabredet hatte, und so ließ er den Rest der Zeitung ungelesen, zahlte eilig und machte, dass er fristgerecht ins Büro kam.
Wie erwartet saß Cerny dort schon über seine Akten gebeugt und wirkte dabei ziemlich ungeduldig. „Hallo, Oberst“, sagte er kurz, „wie ist die Lage?“
„Auch nicht anders als gestern, oder?“
Cerny verzog sein Gesicht kurz zu einer Grimasse, anscheinend stand ihm der Sinn nicht nach schalen Scherzen. „Wir sollten uns eine Strategie zurechtlegen, wie wir jetzt weiter vorgehen.“
„Na, das ist ohnehin keine Frage“, replizierte Bronstein knapp, „wir fühlen einfach der jungen Demand, dem jungen Demand und dem sauberen Herrn Holzer noch einmal, und diesmal konkreter, auf den Zahn. Ich bin schon gespannt, wie sie auf die Offenbarung unserer jüngsten Erkenntnisse reagieren werden.“
„Das ist eine gute Idee. Und mit wem fangen wir an?“
„Ich weiß nicht“, lächelte Bronstein versonnen, „irgendwie liegt mir die junge Witwe am meisten am Herzen.“
„Dich ärgert, dass du dich so in ihr getäuscht hast?“
„Ja.“
Cerny schien darauf zu warten, dass Bronstein noch einen weiteren Satz hinterherschicken würde, doch der schwieg eisern. Cerny beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen. „Dann gehen wir sie einfach einmal besuchen, oder?“
Bronstein meinte nur, zuerst brauche er einmal einen Kaffee und eine Zigarette, Cerny könne ja einstweilen die Tagespresse studieren, doch dann werde man seinem Vorschlag wohl folgen und die junge Demand aufsuchen.
Und so geschah es auch.
Diesmal war Alwine Demand allein, die Zugehfrau war offensichtlich gerade einkaufen. Demand bat die beiden Polizisten in den Salon und fragte artig, ob sie ihnen etwas aufwarten könne, was beide verneinten. So setzte sich die Demand zu ihnen, und für eine kleine Weile musterten sich alle drei schweigend. Dann erst eröffnete Bronstein das Gespräch.
„Meinen Sie nicht, Frau Demand, dass Sie uns noch etwas zu sagen haben?“
„Und was sollte das sein?“
„Anders gefragt: Wie war Ihre Beziehung zu den anderen Hausbewohnern?“
„Was ist denn das für eine Frage? Mit einem Teil dieser Hausbewohner war ich quasi familiär verbunden, mit den anderenhatte ich praktisch keinen Kontakt. Außer im Stiegenhaus vielleicht.“
„Sie haben sich sehr dafür eingesetzt“, fuhr Bronstein fort, „dass der Maler nicht ausziehen muss. Warum?“
„Weil er ein armer Mensch ist. Ich verstehe nicht viel von Kunst und weiß auch nicht, ob seine Gemälde etwas taugen, aber ich bin der Ansicht, dass niemand mutwillig ins Elend gebracht werden sollte, egal, ob er es nach Ansicht der Gesellschaft vielleicht verdient hätte oder nicht.“
Bronstein sah die junge Frau durchdringend an. Da war er wieder, dieser anmutige Blick, dieser unschuldige Ausdruck. Und was sie sagte, musste einen zwangsläufig für sie einnehmen. Konnte so jemand wirklich ein Wässerchen trüben?
Nein, Bronstein, du musst objektiv bleiben! Du darfst dich von einem
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