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Täglich frische Leichen

Täglich frische Leichen

Titel: Täglich frische Leichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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ich.
    Rafael zuckte die Schultern.
»Er hatte zuviel Tequila getrunken und wollte mit
einem Stier kämpfen, deshalb nahm er einen von Mutters Petticoats, um den Stier
zu reizen. Er hatte einen schlechten Tag — der Petticoat war hellblau, sein
Hemd hingegen feuerrot...«
    »Es tut mir ja so leid...«
sagte ich.
    »Du brauchst nicht mehr zu
trauern«, sagte Rafael. »Meine Mutter trauerte ein volles Jahr um ihn, dann
heiratete sie wieder. Einen Südamerikaner mit braunen Augen, meinen Vater.«
    »Aber ich verstehe nicht, wieso
das erklären soll...« meinte ich.
    »Ich habe viel darüber
nachgedacht«, sagte er versonnen. »Ich glaube, daß meine Mutter mit meinem Vater
sehr glücklich war, aber sie hatte wohl auch noch die besten Erinnerungen an
ihren ungestümen americano . Es gibt keine andere Erklärung.
Wie sonst wäre ich mit einem blauen und einem braunen Auge zur Welt gekommen?«
    »Faszinierend«, sagte ich.
»Einfach toll. Mir wird davon ganz schwach im Magen.«
    »Willst du dich vielleicht über
mich lustig machen?«
    »Nein, mir ist wirklich ganz
komisch«, erklärte ich hastig. »Ich fühle mich ganz hingerissen, schwach und
hilflos...«
    Seine Arme schlangen sich um
meine Taille. »Fühlst du sie hier, die Schwäche?« fragte er flüsternd.
    »Wenn ich hier schwach wäre,
hätte ich Husten!«
    Ich sammelte meine letzten
Widerstandskräfte, aber bei näherem Hinsehen lohnten sie das Sammeln eigentlich
nicht mehr. Dann neigte Rafael den Kopf, und es kam mir vor, als schwämme ich
in seinen wundervollen Augen. Seine Lippen berührten meine, und das war, als
hätte einer ein brennendes Streichholz an einen Benzinkanister gehalten. Einen
flüchtigen Augenblick lang wollte ich ihn zurückstoßen, aber dann fiel mir ein,
was meine Mutter mir gesagt hatte, und ich ließ es bleiben. Meine Mutter war
das, was man eine weitherzige Frau nennt.
    Ich glaube, deshalb hat sie
auch eine Familie mit ganz besonderen Herzen großgezogen. Ich zum Beispiel habe
mitunter ein ganz schwaches Herz, und meinem Bruder wiederum kann man
mancherlei vorwerfen und einiges davon gewiß zu Recht, aber keiner kann ihm
vorwerfen, er habe keine Schwäche für Herzchen. Ich kenne ein paar davon.
     
     
     

8
     
    Ich stellte den kombinierten
Radiowecker ein, als ich an diesem Morgen zu Bett ging. Ich stellte ihn für
acht Uhr ein, weil ich mir sagte, ich müsse beizeiten aufstehen, falls Johnny
Hilfe brauche.
    Das mit dem Radiowecker ist
raffiniert: Wenn es acht wird, schaltete sich das Radio ein. Nach fünf Minuten
wird es dann vorübergehend so laut wie ein demokratischer Senator, der gerade
gemerkt hat, daß er von einem Republikaner übers Ohr gehauen worden ist. Das
weckt garantiert Tote wieder auf, aber bei mir wirkte es an diesem Tag
überhaupt nicht.
    Als ich erwachte, war es zwölf.
    Das Radio dudelte leise vor
sich hin, und ein Werbefunkonkel erzählte mir, es sei Zeit zum Lunch und ich
solle mir doch so eine köstliche Nudelsuppe kochen — worauf ich ihm erklärte,
was er mit seinen alten Nudeln tun könne.
    Ich stand gleich auf, aber bis
ich gebadet und mich halbwegs in Form gebracht hatte, war es halb zwei. Um fünf
nach zwei langte ich im Büro an, und ich hatte das Gefühl, das mich manchmal
befällt und erwägen läßt, ein Mieder zu kaufen: ein Gefühl, als sei mein Magen
am Versinken. Diesmal hatte das freilich einen recht konkreten Grund, denn vor
lauter Hast hatte ich nicht mal gefrühstückt. Und außerdem wußte ich, daß
Johnny mir böse sein würde.
    Die Tür war verschlossen,
woraus ich folgerte, er müsse noch beim Lunch sein; gleich spürte ich meine
Raumleere doppelt. Ich schloß auf und ging hinein. Wenn Johnny am Vormittag
gearbeitet hatte, mußte er wohl alles weggeräumt haben, denn im Büro sah es
genauso aus wie abends zuvor. Die Post lag noch unterm Schlitz in der Tür, ich
hob sie auf und öffnete die Briefe. Ich registrierte drei Rechnungen und das
Schreiben eines Ehemannes, der wissen wollte, ob es eine Vorgesetzte Behörde
für Privatdetektive gebe und wie deren Moral beschaffen sei. Er hatte einen
Privatdetektiv beauftragt, seine Frau zu beobachten, und dabei war der Detektiv
selber zum Scheidungsgrund geworden.
    Um drei rief ich bei Johnny zu
Hause an. Niemand meldete sich. Um halb vier telefonierte ich mit seinem
Hausmeister und fragte ihn, ob er Mr. Rio heute schon gesehen habe. Er sagte
nein, Johnny sei ihm seit gestern abend nicht mehr zu
Gesicht gekommen, und die Milch und die Morgenzeitung

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