Taenzer der Nacht
Sutherlands schwarzen Schleier starrte; er hing jetzt mit seinem schweren Kopf davor wie eine große Möwe über einem unter ihr schwim menden Fisch, „um auf den Tischen der großen amerikanischen Familie in Duluth oder Council Bluffs zu enden, nein, entschuldige bitte, Liebling, dafür bin ich zu altmodisch, ich glaube noch an General Motors und die Weisheit der Götter ...“
Jetzt zog Michael Zubitski seinen schweren blonden Kopf von Sutherlands Gesicht zurück, und begann sich langsam wie ein Zombie über den Teppich zu bewe gen, bis er an einer Wand neben einer Topfpflanze zum Stehen kam.
„Wer war das denn?“ fragte der Junge mit großen Augen.
„Eine Frau ohne Bedeutung“, sagte Sutherland und stieß einen Strom Zigarettenrauch aus. „Eine rachsüch tige Tunte. Dieses große blonde Tier, dieser Nazi sturm soldat, hat nämlich einen Schwanz, der nur ein kleines bißchen kleiner sein br ä uchte, um bereits eine Vagina zu sein, und wenn Leute, aus welchem Grund auch immer, mit ihm ins Bett gehen, verschwinden sie unweigerlich mitten in der Nacht wieder mit der Erklärung ,Ich bin doch schon zu müde’, oder ,Ich hab’ heut’ schon mal gefickt’, oder mit einem anderen dieser klassischen Entschuldigungsgründe. Der Junge wurde so verbittert über sein Schicksal, daß er, als er doch irgendwie Syphilis bekam, in die Sauna ging, und jeden mit einem ungewöhnlich großen Schwanz an steckte, den er erreichen konnte. Naja, immerhin noch besser, als den Präsidenten umzubringen.“
Er stieß einen langen Rauchstrom aus. „Denn siehst du, nachdem man sich jetzt schon um die Neger küm mert, und um die Amputierten und die Asiaten , und sogar um die allerschrill sten Tunten, nachdem jetzt für sie alle gesorgt ist, wer wird jetzt noch die Schmerzen dieser letzten Minderheit lindern, der Minderheit inner halb der Minderheit, ich meine diese wahren Aus sätzigen New Yorks: die Trinen mit einem kleinen Schwanz? Wahrlich, Christus hat die Aussätzigen und die Huren gesegnet, aber es gibt in der Bibel keine Gnade für Jungen mit kleinen Pimmeln, und sie sind doch die, die von allen am meisten gemieden werden. Die Leute gehen einmal mit mir ins Bett und nie wie der!“ sagte er mit dem aufrichtigen Blick eines Koalabären bei diesem Geständnis, das andere ihr Leben lang geheimhalten. „Was wird denn die Regie rung endlich einmal für sie tun? Na ja, egal,“ seufzte er, „das ist sicher nicht dein Problem.“ Er ballte seine Faust und lächelte. „Es gibt im Leben drei Lügen“, sagte Sutherland zu seinem Begleiter, für den dies die erste Nacht im Reich der Homosexualität war, und dessen Einführung zu überwachen Sutherland auf sich genommen hatte. „Nr. l, der Scheck ist schon in der Post. Nr. 2, ich kann in deinem Mund nicht abspritzen. Und Nr. 3, alle Puertoricaner haben große Schwänze.“. Und dabei lehnte er sich vor und legte die Hände des jungen Mannes zwischen seine schwarz behandschuh ten und sagte in seiner atemlosen tiefen Stimme: „Du begibst dich auf eine Reise, die weit bizarrer ist als eine Expedition zu den Quellen des Nil. Du hast deinen Fuß heute nacht auf einen unermeßlich weiten Konti nent gesetzt. Laß mich dich so weit führen, wie ich kann. Ich will dich so lange an der Hand halten, wie wir zusammen gehen können, und dir die interes san tere Fauna und Flora zeigen. Ich will dir helfen, den Treibsand zu umgehen, in dem du untergehen kannst, oder zumindest einen großen Teil deiner Zeit vergeu den, das Dornengestrüpp, die Irrwege. Ach“, seufzte er. „Davon haben wir wirklich viele, optische Täu schun gen haben wir eine Menge in diesem Raum!“ sagte er ekstatisch, und richtete seine Zigarettenspitze steil auf. „Also laß uns zusammen flußaufwärts ziehen, so weit wir kommen“, und er umfaßte noch einmal die weiße, schmale Hand seines Schützlings. „Und vergiß nicht, nach allem zu fragen, und präge dir alles ein, die Orchideen und die Fruchtfliegen, die Kinder, die im Abfall nach Eßbarem suchen, und den Ibis, der im Dunkeln über den Mond fliegt. Wir sollten mindestens bis zu den Stromschnellen kommen. Was für eine Reise! Wenn ich dir nur helfen kann, die Umwege zu ver meiden, die Sackgassen, Fieberanfälle und falschen Ekstasen, die ich durchgemacht habe.“ Er drückte die Hand des Jungen und sagte, wobei er den Einwei hungs satz einer Bar Mitzvah zitierte, die er einmal in der Verkleidung einer jüdischen Matrone aus Fiatbush mitgemacht hatte: „Ab heute
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