Taenzer der Nacht
„Ich muß nur als kleine Fußnote anmerken, daß er sich außer hyazinthenroten Haars und klassisch schönen Zähnen eines der größten Eumel im Nordöstlichen Korridor erfreut. Vielleicht erwischt du ihn mal auf dem Zug nach Washington“, sagte er und trank aus. „Wir waren wirklich sehr verliebt.“
Als sie schließlich gingen, war die Dunkelheit voller Männer, die etwas vorhatten: schöne, dunkeläugige Boten, die in den stahlgrauen Eingangshallen großer Büro gebäude verschwanden; Geschäftsleute, die sich beeilten, ein Taxi zum Flughafen zu bekommen; blei che Korrektoren, die zu ihrer Nachtschicht in Anwalts kanzleien an der Park Avenue gingen; Kellner, die in ihre Kneipen eilten, Studenten, die in ihre Vororte zurückkehrten. Und Malone fing wieder an, die Ver lockungen der Stadt zu spüren. Er ging nicht wie Suther land mit Cashew-Nüssen und getrockneten Apri ko sen in der Tasche den Tag über in die Toiletten der Vorortbahnen, aber er begann, ihn öfter des Abends treffen, um über die Boulevards zu schlendern und die Knäuel von Menschen vorbeieilen sehen: einen Boten der Twentieth Century Fox, einen Marktforscher von Sloan-Kettering, einen Werbefritzen, der sich für Pan American Airways abhetzte. „Er lebt mit seinen Eltern in Forest Hills, er ist auf Atlantic Monthly und After Dark abonniert, sein Schlafzimmer ist ganz mit Korbmöbeln eingerichtet, und er verliebt sich immer in Jungen vom Tennisplatz“, sagte Sutherland dann über ihn. „Kennst du ihn?“ fragte Malone. „Nein“, sagte Suther land, während sie die hübschen Gesichter be trach teten, die im Rizzoli verschwanden. „Das wäre völlig überflüssig.“ Sie schlenderten weiter und starr ten wie Cupido, nicht auf die Erscheinung des Herren, sondern in die Auslagen von Bendel’s.
Und im Laufe des Abends würde sich dann ein Paar Augen mit Malones Augen verschränken, und sie würden sich wie zwei Ringer gegenseitig bewegungs los festhalten. Es passierte eines Abends, als sie eine Kirche an der Fifth Avenue betraten, um sich ein Kon zert anzuhören: ein junger Mann namens Rafael, der die Programme verteilte, aber eigentlich gekommen war, um einem Priester Kokain zu liefern. Mit starkem Herzklopfen flüsterte Malone Sutherland zu, als sie nach dem Konzert am Weihwasserbecken stehen blie ben, und er dabei zu Ra faels dunklen Augen mit der dumpfen Hilflosigkeit eines vom Skorpion gestoche nen Tieres hinstarrte: „Kann ich dich nachher zu Hause erreichen?“
„Das Herz ist ein einsamer Jäger“, seufzte Suther land, der allerdings vollkommen verstand, daß jeder von ihnen zu jedem Zeitpunkt verschwinden konnte, letztlich allein, um dem Ruf der Liebe zu folgen ...
Und Malone ging dann mit Rafael oder Jesus oder Luis auf die Upper West Side und lag in einem Bett, als Gefangener eines Augenpaares, einer sanften Brust, um schlingender Glieder. Aber Liebe ist wie Salzwasser Trinken, entdeckte Malone. Je mehr Liebe er machte, desto mehr sehnte er sich nach den Ebenbildern seines augenblicklichen Liebhabers, die er unweigerlich an jeder Straßenecke fand. Malone war liebeskrank, fieb rig, und es glühte in seinen Augen dermaßen, daß andere ihn nur anzusehen brauchten, und sofort wuß ten, daß er ihresgleichen war. Aber jedesmal, wenn er jemanden liebevoll ansah, hatte er den Eindruck, eine Doppelbelichtung zu sehen, in der das Gesicht hinter dem im Vordergrund die Umrisse von Frankie trug – und der Zentimeter zwischen den beiden Lippen paaren war eine unüberwindbare Kluft. Danach ging Malone dann mit trübem Herzen durch den Park zurück, um Sutherland mit einer orangen Perücke, einer bäuerlich gerüschten Bluse und gasblauen Perlen aus dem Fenster hängen zu sehen, wie er den vorbei kommenden Italienern zurief, sie sollten heraufkom men und ihm die M ö se lecken. Gelegentlich war es etwas schwierig, darin noch die Parodie zu erkennen; und Malone blieb dann manchmal noch über eine Stunde im Eingang des Whitney-Museums stehen und betrachtete Sutherland, wie er die Avocados in seiner Bluse befingerte, seine Arme hochwarf, sein Haar ordne te, an den Perlen zupfte und kokett wie eine Mario nette winkte, bevor er sich schließlich in der Lage fühlte, die Straße zu überqueren. Sutherland war auch ohne Liebe glücklich. Warum konnte er das nicht? Er wartete, bis diese Dame, die gerade ihre Wäsche herausgehängt hatte und nun fröhlich schnat - ternd das Leben der Straße in sich aufsog, während sie darauf wartete, daß Mario
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