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Taenzer der Nacht

Taenzer der Nacht

Titel: Taenzer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Holleran
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stehen, um zuzuschauen, wie die Körper toter Schweine, bläulich weiß und hellrot, an einem Stahlseil aus Lastwagen in die gekühlten Tiefen der Fleischereien glitten, während in seinem Rücken homo sexuelle junge Männer den Kreuzweg beschrit ten, der sie durch ein Dutzend Bars, eine Kette abge stell ter Lkws, verlassene Hafenanlagen, wüste Industrie grundstücke zu ihrem Traumprinzen bringen sollte. Malone blieb stehen unter dem fahlen, jungfräu lichen Mond, und betrachtete die dunklen Figuren, wie sie verschwanden und wieder auftauchten; er schlug in der silbrigen Luft mit einer Hand das Kreuz und ging dann tanzen.
     
    Er tanzte bis sieben an diesem Morgen, und er tanzte danach drei Winter lang. Zuerst war er ein schreckli cher Tänzer: steif und unglücklich. Ich sah ihn öfters mit einem gleichgültigen, gelassenen Gesichtsausdruck auf der Tanzfläche stehen, während Sutherland brillant um ihn herum tanzte. Sutherland tanzte mit einer Ziga rette in der Hand, bewegte sich fast gar nicht, drehte sich nur langsam herum, und betrachtete die anderen Tänzer, wie jemand bei einer Cocktail-Party die anderen Gäste mustert. Er tanzte immer mit der Zigarette, mit ganz leichten, lockeren, entspannten Bewe gungen der Schultern und Hüften; nur wenn ein Stück gespielt wurde, das er noch aus alten Tagen liebte – denn Sutherland hatte schon lange vor jedem anderen von uns getanzt – so wie „Looking for my Baby“: dann legte er los, ließ Malone allein stehen, und eilte hin und her, quer durch den Raum, in einer Choreo graphie, die nur ein geborener Tänzer erfinden kann. Später beruhigte er sich wieder, stand mit der Zigarette da, und bewegte sich kaum noch zur Musik. Ich war mal gleichzeitig mit Sutherland da, als ich über dem Getöse der Musik plötzlich eine einzelne hohe Note durchgehalten hörte, und in der Meinung, es sei auf der Platte, nicht mehr darauf achtete, bis ich sie wieder in einem anderen Stück hörte, und dann sah, daß es Sutherland war, der ein durchdringend hohes E mit B-Vorzeichen sang, während er zu Barrabas tanzte.
    Die beiden begannen mit dem Tanzen in dem Jahr, in dem das Twelfth Floor eröffnete, das Jahr, in dem wir im September unglücklich aus Fire Island zurückka men, weil es nach dem Ableben des Sanctuary keinen Ort mehr zum Tanzen gab. Das war damals unsere Haupt sorge: Wir wollten nicht aufhören zu tanzen. Wir zogen mit der Regelmäßigkeit des Papstes im Sommer aus der Stadt nach Fire Island, wo wir bis zum Herbst tanzten, und dann, wenn die Gänse süd wärts fliegen und die Schmetterlinge in den Dünen sterben, fanden wir einen neuen Platz in Manhattan und tanzten dort den ganzen Winter. Die Zu s ammen setzung unserer Gruppe von Tänzern wechselte, aber es war eigentlich immer ein Arzt, ein Stricher, ein De signer, ein Schallplattenverkäufer und ein Drogen händ ler dabei, und mehrere Seelchen von der Sorte, die nicht weiß, was sie eigentlich auf Erden soll und von Verkleidung zu Verkleidung springt – Dekorateur, Friseur, Schalterbeamter, Verkäufer, Börsenmakler – mit einem leicht verrückten Schimmer im Blick, denn ihr eigentliches Glück bestand aus Musik und Sex.
    Im Herbst 71 tanzten wir in einem Loch am Times Square, und nährten uns von den Gerüchten, daß das Twelfth Floor bald nach dem Erntedankfest eröffnen würde; und damals sahen wir Malone und Sutherland zum ersten Mal. Sutherland, den wir alle kannten, oder von dem wir doch wußten: selbst unter uns dachten wir, er komme von einem anderen Planeten. Von allen Bindungen zwischen schwulen Freunden war keine fester als die, gemeinsam zu tanzen. Der Freund, mit dem du tanztest – wenn du keinen Liebhaber hattest – war die wichtigste Person in deinem Leben; und für Leute, die jahrelang keinen Liebhaber hatten, war es sogar alles, was sie hatten. Es war ein sehr dauerhaftes Band, das Malone und Sutherland in jenem Herbst ver einte, und das dann für Jahre: zwei Freunde, die zu sam men tanzen.
    Die Bar, in der wir sie in der ersten Saison sahen, war voll von gewöhnlichem Volk, Boten, Verkäuferinnen und Krämern bei Tag, eingebildeten Schönheiten bei Nacht. Am ersten Abend warteten wir hinter Malone darauf, hinein zu kommen, und hörten, wie der Mafia-Schläger, der die Tür machte, ihn zweimal – denn Malone hatte es das erste Mal nicht verstanden – fragte, ob er in der Tasche, die er da trage, „Schießeisen, Messer oder Flasche“ habe. Malone beugte sich höflich vor, und, als er es endlich

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