Taenzer der Nacht
Zelle – und wenn nicht die verräterischen Spuren von Eine-Nacht-Affären, die in Untertassen ausgedrückte Zigaretten und an die Wand gekritzelte Nachrichten („Ruf mich an! 555 37 21. John“) hinterlassen hatten, eine Flasche Wein und Gläser und ein Korb voller Papierfetzen, auf die noch weitere Telefonnummern und Namen ge schrie ben waren, dagewesen wären, hätte man sich nicht vorstellen können, daß hier jemand lebte. Ein Squash-Schläger und die Bibel und die erste Nummer der Playgirl lagen auf dem Tisch. Wir setzten uns hin und schauten auf die dreckigen Wände, und natürlich begann sofort das Paar nebenan, sich mit wütenden, besoffenen Stimmen zu streiten. Die Zeit verging. Wir wurden immer deprimierter bei ihrem brutalen Wort wechsel, und drehten das Radio an, um sie zu über tönen. Draußen hinter den schmutzigen Scheiben fing der Schnee an in die Abgründe zwischen den Feuer leitern hinter Malones Zimmer zu fallen, während er im Stadtzentrum an den großen Fenstern der Hotel suite vorbeitrieb, die ein Manager eines Lexikonverla ges aus Minneapolis gemietet hatte, der sich dazu entschlossen hatte, Malone nicht für die Nacktfotos zu bezahlen, die er gerade von ihm gemacht hatte, weil ihm der Preis zu hoch war.
„Ich lasse Ihre Kamera unten beim Portier“, sagte Malone, während er sie vom Kaffeetisch nahm, „aber den Film nehme ich natürlich heraus.“ Bevor er zur Theke in der Hotelhalle kam, begegnete Malone zwei Leibwächtern, die ihn in einen Raum im zweiten Stock zogen und ihm den Arm brachen. Einen Arzt riefen sie erst einige Stunden später. Es war kurz vor drei, als das Telefon klingelte; wir hatten gerade angefangen, uns zu überlegen, ob wir nicht ohne ihn gehen sollten. „Tut mir leid, daß ich euch zur Last fallen muß“, sagte seine Stimme eigenartig hohl unter der vertrauten Fri sche, „aber etwas Unangenehmes ist passiert, von dem ich dachte, daß es so etwas nur in Ostdeutschland gibt. Ich bin in einer Art Gefängnis, und brauche einen Arzt, könnt ihr euch das vorstellen? Vielleicht ist dies der Ort, wo man die Neujahrsnacht verbringen sollte. Hier ist ein Mädchen, das einen Mantel trägt, nach dem Sutherland und ich ganz Manhattan abgesucht haben.“ Und zusammen mit all den Taschendieben, Betrügern, Vergewaltigern und Verrückten sah er zu, wie der erste Sonnenaufgang 1977 die Türme der Wall Street im Süden seines Fensters beleuchtete, während er mit einem schwarzen Mädchen, das einer Frau bei dem Versuch, ihr am Riverside Drive die Geldbörse zu rau ben, die Kehle durchgeschnitten hatte, ein Erdnußbut ter brot aß. Aber die ausgesuchteste Ironie erwartete Malone, als wir ihn, nachdem sie ihn freigelassen hat ten, zum Bellevue-Krankenhaus brachten, damit sein Arm gegipst wurde. Der Arzt, der sich um ihn küm merte, war, wie sich herausstellte, ein Mann, mit dem er schon mehrmals geschlafen hatte. „O Gott“, sagte Malone schwach, bevor er sich, auf die weißen Kissen des Krankenhausbettes hingestreckt, der Wirkung der eingenommenen Tablette hingab, „muß ich wirklich jetzt schon nach San Francisco ziehen?“
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M alone lachte nur, als Sutherland behauptete, daß man über dreißig nicht mehr als drei gute Freunde haben solle; denn er kannte eine Unmenge von Leuten. An dem Abend, an dem wir ihn im Bellevue-Kranken haus gelassen hatten, um eine Versicherungs karte zu holen, die das Krankenhaus verlangte, waren wir noch keine fünf Minuten in seinem Zimmer, als es schon an die Tür klopfte. Zwei Typen kamen herein, die mit Malone tanzen gehen wollten; zwei Gesichter, die wir schon seit Jahren sahen, aber mit denen wir nie geredet hatten. Sie waren geschockt von der Nachricht, daß er zusammengeschlagen worden sei, keinen Besuch empfan gen dürfe, und die Nacht im Bellevue verbrin gen müsse. „Aber wer war es denn?“ fragte der Kleine re. „Frankie?“ Wir sagten nein, und als wir fragten, wer Frankie sei, antwortete der Größere: „Du kannst Malone noch nicht sehr lange kennen. Frankie ist ein verrückter Italiener, der ganz verknallt war in Malone, und der, als Malone ihm sagte, daß es aus sei ... “
„Ein unausweichlicher Moment“, sagte der Größere, während er sich auf einen umgedrehten Milchkasten setzte, „ein unausweichlicher Moment im Leben aller Liebenden, wie ernst sie es auch meinen, ein Moment, den wir alle lernen müssen, mit Anmut und Würde zu ertragen.“
„Wie dem auch sei, in diesem unausweichlichen Moment“, nahm der
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