Täuscher
der Tat verdächtige Hubert Täuscher, Bürgersohn aus Landshut, der sich bei der Konfrontation mit den Leichen sehr kaltblütig gezeigt hat, leugnet bis jetzt jede Schuld, ebenso will aber auch der ebenfalls in die Tat verstrickte Luck Schinder nichts von den Morden wissen. Letzterer leistete bei seiner Festnahme in München keinerlei Widerstand und wies die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurück. Die Untersuchung durch die Beamten der Kriminalpolizei muss daher erst Licht in das Dunkel der Mordtat bringen.
Mittwoch, 12 . Juli 1922 ,
Volksgericht Landshut,
dritter Verhandlungstag,
7 Uhr abends
Dem Gutachter Medizinalrat Dr. Steidel sind zwei Dinge in besonderer Erinnerung geblieben: die Kaltblütigkeit des Angeklagten und sein theatralisches Wesen.
»In meiner Laufbahn als Mediziner war ich schon häufiger bei der Konfrontation eines der Tat Verdächtigen mit den Opfern zugegen. Es ist eine Situation von gewaltiger Intensität. In einer solchen Situation der extremen Anspannung zeigt sich das wahre Gesicht. Spreu und Weizen trennen sich hier. Die Person ist mit der Gegenüberstellung meist völlig überfordert und hat nicht genügend Zeit, sich darauf vorzubereiten. Ohne es zu wollen, verrät deshalb ein jeder in der Art und Weise, wie er sich äußert, sehr viel über sich und die Tat. Bei der Konfrontation mit den Mordopfern sagte Täuscher: ›Angesichts der Leichen schwöre ich, dass ich nicht der Mörder bin!‹
Ich fand diese Äußerung bezeichnend, war sie doch unangebracht und übertrieben. Mimik und Gestik hatten etwas Einstudiertes, alles zielte ganz darauf ab, welche Wirkung sie auf andere hat. Nichts war echt, alles falsch und unwahr. Dies ist ein Indiz dafür, dass Täuscher sich auf die Gegenüberstellung vorbereitet hatte. Nur jemand, der weiß, was ihn erwartet, ist zu einer solchen Reaktion fähig.
Hubert Täuscher wurde wenige Tage später an unser Institut überwiesen, und auch dort zeigte er bei der Untersuchung seines Geisteszustandes Auffälligkeiten. Im weiteren Verlauf spielte Täuscher gerne den Heiteren und Unbekümmerten, immer ist dieses Verhalten eine Spur zu dick aufgetragen, selbst in den wenigen Momenten, in denen seine melancholische Stimmung deutlich wird. Was angesichts der schweren Vorwürfe gegen den Angeklagten nur verständlich wäre. Befragte ich ihn in einem solchen Augenblick, war die Antwort unbefriedigend. Er sagte dann: ›Ich bin immer heiter und fidel.‹
Für mich liegt deshalb der Schluss nahe, dass dieses Benehmen auf Berechnung beruht. Täuscher versucht so, Schuld und schlechtes Gewissen von sich zu schieben und stattdessen Unschuld vorzutäuschen. Wenn ein Mensch in einer Situation wie dieser, in der Spannung und Druck schier unerträglich sind, trotzdem zu so einem gespielten Verhalten fähig ist, deutet das auf einen tatsächlichen Mangel an Empathie und Emotion hin. Kurz gesagt, Hubert Täuschers sittlicher Wert wiegt leicht. Er ist ein Mensch, der sich nicht ein- oder unterordnen kann. Mit Hochmut und Selbstbewusstsein spielt er den Unverstandenen. Zieht sich sofort zurück, wenn er auf Widerspruch trifft. Sein Intellekt ist gut, es fehlt auch nicht an ethischen Begriffen, aber die Seele schwingt nicht mit. Täuscher ist ein Renommist, Lügner und Phantast. Er will immer um jeden Preis eine Rolle spielen, im Mittelpunkt stehen. Seine besondere Vorliebe für das Kino bestärkt ihn in seinem Verhalten.
›Ich bin ein Anbeter des Kinos‹, faselt er, und als solcher träumt er davon, bekannt und berühmt zu werden. Auch in seinen finstersten Momenten der Verzweiflung, die es selbst bei einem Menschen, wie er einer ist, geben mag, lässt er davon nicht ab. Er fabuliert in schwülstigem Ton darüber, wie oft es ihm durch den Kopf gegangen sei, sich am Grabe seiner Vorfahren das Leben zu nehmen. Er malt sich diese Szene aus, inszeniert seinen geplanten Selbstmord, zelebriert diesen Gedanken. Nimmt dann doch in letzter Sekunde Abstand davon. Er spielt mit seinem Tod und badet in den Leiden anderer. Täuscher ist ein Psychopath. Ein Manipulator mit degenerativer sozialer Minderwertigkeit. Es hat sich jedoch während der Untersuchung, trotz eingehender Tests, keinerlei Geistesstörung gezeigt. Der Angeklagte muss, wenn ihm die Tat nachgewiesen wird, verantwortlich gemacht werden. Er beging sie aus Eigennutz und Habgier. Täuscher ist ein Narziss durch und durch.«
Während der Gutachter spricht, zeigt Täuscher keine Regung.
Der nun in den Zeugenstand
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