Täuscher
aber der Dr. Fersch hat bloß abgewunken und gemeint, was er hat, reicht ihm für die Anklage. Es bestünde ein öffentliches Interesse, die Sache so schnell als möglich vor Gericht zu bringen.«
»Ein öffentliches Interesse! Herrschaftszeiten noch einmal!« Johann Huther schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. »Ein Interesse vom Dr. Fersch, noch einen Sprung auf der Karriereleiter zu machen! Wir haben doch überlegt, eine daktylographische Untersuchung zu erwirken? Wir wollten doch Fingerabdrücke in der Wohnung nehmen!«
»Auch das hat er abgelehnt. Die Antwort war: ›Was wollen Sie denn mit dem neumodischen Humbug, so was hat vor Gericht sowieso kein Gewicht.‹ Wir wissen doch, wie der Dr. Fersch ist. Seinen politischen Ambitionen kommt so ein schneller Prozess und noch dazu vor einem Volksgericht gerade recht.«
»Und die Suche nach dem unbekannten Geliebten der Ganslmeier? Sollen wir das jetzt alles stehen und liegen lassen?«
»Da wird uns nichts anderes übrigbleiben, Herr Kollege. Es sei denn, es passiert ein Wunder, und der Herr steht morgen vor unserer Tür und will von sich aus eine Aussage machen, was ich bezweifle.«
»Dann haben sie ihn wirklich«, sagte Johann Huther zu sich selbst.
»Ja, sie haben ihn wirklich. Die ganze Stadt ist in heller Aufregung. Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht mindestens zwei der drei Schöffen auf schuldig plädieren und von den zwei Richtern nicht einer der gleichen Meinung ist. Ich würde sagen, den Hubert Täuscher haben sie im Sack.«
Josef Wurzer rieb sich die Hände. »Jetzt geht’s eigentlich nur noch darum, wie sich sein Kompagnon aus der Schlinge zieht.«
Donnerstag, 13 . Juli 1922 ,
Volksgericht Landshut,
vierter Verhandlungstag,
10 Uhr morgens
Gleich nach Eröffnung der Sitzung beginnt Dr. Fersch, der Staatsanwalt, mit seinem Plädoyer: »Eine Schandtat, begangen am helllichten Tag mitten in unserer Stadt, an zwei wehrlosen Frauen. Unfassbar hält sie uns noch immer in Atem, können wir noch immer nicht begreifen, was da in unserer Mitte geschah. Nicht nur wir Bürger Landshuts sind angewidert von dieser Tat, auch weit über die Grenzen unserer Heimat hinaus sind die Menschen ergriffen, fassungslos und verstört von diesem Vergehen. In den letzten Tagen sind sie hierher zu uns geeilt, um zu sehen, wie derjenige, der diese scheußliche Tat verübt haben, zur Rechenschaft gezogen wird und so der Gerechtigkeit zumindest zu einem kleinen Stück Genüge getan wird. Es ist wohl als gesichert anzunehmen, dass zuerst Clara Ganslmeier, danach ihre alte, beinahe achtzigjährige Mutter dem Mordgesellen zum Opfer fiel. Soweit wir heute sagen können, musste Letztere nur sterben, weil sie den Täter sah und gegen ihn hätte aussagen können. Der Angeklagte Täuscher beteuert bis heute seine Unschuld, bestreitet die Tat. Und doch: Mag er sich noch so winden, die Fakten und Zeugen sprechen gegen ihn. Immer wieder hat er uns hingehalten, hat Erklärungen versprochen. Er wollte so viel sagen und sagte doch nichts, grub sich vielmehr bei jedem Verhör sein eigenes Grab tiefer. Das wenige, was er vorbrachte, war unverständlich und widersprach sich selbst. Für seine Unschuld konnte er so nichts erbringen. Selbst wenn man ihm glauben möchte, seine Verlobte hätte ihm all diese Schmucksachen zugesteckt, hätte die Dinge, an denen sie doch so hing, die ihr ›das Liebste waren‹, geschenkt, so hätte sie ihm doch nie ihr unentbehrliches Stiel-Lorgnon geben können, ohne das Augenglas war sie hilflos.
Auch konnte es sich nur um einen mit den Verhältnissen der Familie Ganslmeier vertrauten Täter handeln, nur so konnte dieser derart schnell und umfassend zu Werke gehen, rauben, was nur er wusste. Die Familie Ganslmeier lebte zurückgezogen, keiner wusste, wo die Wertgegenstände verwahrt wurden, aber durchwühlt wurden nur die Zimmer, in denen etwas zu finden war, alle anderen Räume blieben unangetastet. Ein Fremder hätte die ganze Wohnung durchsucht, jedoch wäre ein Unbekannter von Clara Ganslmeier eingelassen worden? Und der Täter muss hereingelassen worden sein, es fanden sich nirgends Spuren eines gewaltsamen Eindringens in die Wohnung! Clara Ganslmeier, das spätere Opfer selbst, muss dem Mörder die Tür geöffnet haben! Ihre Mutter war viel zu schwach dafür, und dennoch blieb auch sie nicht verschont. Sie muss den Täter erkannt haben. Welchen Grund hätte dieser sonst gehabt, die wehrlose alte Frau zu töten, wenn nicht
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