Täuscher
nach fünf verkündet der Vorsitzende unter Anwesenheit einer großen Zuhörermenge das Urteil:
»Der Hauptangeklagte Hubert Täuscher ist schuldig zweier Verbrechen des Mordes in Tateinheit mit einem Verbrechen des schweren Raubes. Der Angeklagte Luck Schinder ist schuldig eines Verbrechens der Personenhehlerei in Tateinheit mit einem Vergehen der Sachhehlerei. Das Strafmaß lautet deshalb wie folgt:
Bei Täuscher, wegen jedes der beiden Verbrechen, zur Todesstrafe, unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebensdauer.
Bei Schinder zu einer Strafe von vier Jahren und fünf Tagen Zuchthaus sowie Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf fünf Jahre.«
Nachdem die Kammer die Begründung des Urteils verlesen hat, wird Täuscher abgeführt. Schinder lächelt. Zum letzten Mal werden sie draußen von einer großen Menschenmenge erwartet.
Donnerstag, 13 . Juli,
Volksgericht Landshut,
Bürstenfabrikantensohn Hubert Täuscher,
6 . 54 Uhr abends
Thea starrte Hubert fassungslos an, als er an ihr vorübergeführt wurde. Für kurze Zeit stand er direkt vor ihr, ihm erschien es wie eine Ewigkeit. Die Gewissheit, dass auch Thea ihn für schuldig hielt, traf ihn wie ein Schlag. Und mit dieser Einsicht löste sich die Starre in ihm, und er fing an, wild um sich zu schlagen. Je heftiger er wurde, umso fester hielten ihn die Aufseher, bis er schließlich schrie, so laut, dass seine Stimme sich dabei überschlug: »Ich bin frei von aller Schuld, unschuldig am Mord und am Raub!«
Die Vollzugsbeamten packten ihn, zogen ihn weiter vorbei an der Meute der Zuschauer, einer Mauer aus Hass, mit weit aufgerissenen Mündern, johlend und geifernd Schmähungen ausstoßend. Er ließ sich fortziehen, mal lauter, mal leiser die Worte »unschuldig«, »frei von aller Schuld« vor sich hin brabbelnd. Sie führten ihn durch das Gebäude, dunkle Flure entlang, bis sie ihn endlich in seine Zelle brachten. In deren Mitte blieb er stehen, leer. Abgestellt wie eine Marionette ohne Puppenspieler, nicht fähig, sich zu setzen, nicht fähig, irgendetwas zu tun. Hubert erkannte erst, wo er war, als einer der Beamten ihn fragte, ob er mit einem Geistlichen sprechen wolle.
»Machen S’ reinen Tisch, Herr Täuscher. Erleichtern S’ Ihr Gewissen. Glauben Sie mir, es tut gut, nach einem solchen Urteil mit einem Priester zu sprechen, es hilft, das Urteil besser anzunehmen und sich mit der Situation abzufinden. Sie brauchen es nur sagen, und wir schicken nach dem Gefängnisgeistlichen.«
»Ich will keinen von den Pfaffen. Ich will meinen Anwalt, den Dr. Klar«, kam es stockend aus ihm heraus. »Ich hab nichts gemacht, ich bin unschuldig.«
»Das sagen sie alle, Herr Täuscher, aber ich will sehen, was ich machen kann. Wollen S’ nicht lieber mit dem Herrn Kaplan sprechen?«
»Ich hab nichts zu beichten, ich bin unschuldig. Verstehen Sie mich nicht? Das ist alles ein Irrtum!«
»Ich versteh Sie schon, aber jetzt beruhigen S’ sich erst mal, und ich werd schaun, was ich machen kann.«
Damit ließ der Beamte Hubert stehen und versperrte die Zelle.
»Ich bin frei von aller Schuld, unschuldig am Mord und am Raub. Sie hat noch gelebt, als ich sie zuletzt gesehen habe – das habe ich doch gesagt!« Dr. Klar hatte die Zelle kaum betreten, seinem Mandanten die Hand noch nicht zur Begrüßung geschüttelt, da schleuderte Hubert ihm diesen Satz bereits entgegen.
»Darum wollen Sie mit mir sprechen? Um mir das zu sagen? Sie haben Ihre Unschuld immer wieder beteuert, aber keine Beweise erbringen können, keine Auskunft über den wahren Täter geben können. Wer soll es denn gewesen sein?«
»Sie verstehen mich nicht. Ich hatte Angst, Angst um mein Leben. Ich konnte da drin nicht mehr sagen.«
»Und das soll ich Ihnen glauben? Wieso sagen Sie mir das erst jetzt – ich bin Ihr Anwalt, Herr Täuscher. Wovor hatten Sie denn Angst? Jetzt nach dem Urteil müssen Sie doch mehr Angst um Ihr Leben haben als zuvor.«
»Ich habe nicht sprechen können, der Saal war voller Menschen. Warum wollen Sie das nicht verstehen? Ich habe bis zuletzt gehofft, dass …«
»… dass was?«
»Dass ich freigesprochen werde.«
»Da haben Sie sich geirrt. Herr Täuscher, es ist ein Urteil vor einem Volksgericht. Verstehen Sie mich? Da gibt es keine Revision. Das habe ich Ihnen wieder und wieder gesagt – aber Sie wollten mit mir nicht reden, mir nichts sagen, außer dass Sie unschuldig sind. Die einzige Chance, die ich jetzt noch sehe, ist, dass wir mit
Weitere Kostenlose Bücher