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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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Seherin, sondern eine Magiesensible. In guten Nächten verkraftete sie das blendend, in weniger guten drehte sie durch.
    Zarah atmete auf. Glück gehabt. Sonst wäre sie Odas Seherinnen-Augen nicht entkommen.
    »Also«, fuhr der Protokollführer fort, als er sich wieder hingesetzt hatte und Ruhe in den Saal eingekehrt war. »Ashriel war dein Partner, du hast mit ihm mehr Zeit verbracht als mit jedem sonst, und du weißt nicht, welcher Spitzel der Lichtseite ihn angeworben hat? Er kam sicherlich nicht von selbst auf die Idee, uns auf so hinterhältige Weise zu verraten.«
    »Ich hab doch gesagt, ich weiß nicht, wer das war.«
    Oda hob beschwichtigend die Hände, die wieder wie Schmetterlingsflügel zu flattern schienen. »Sie sagt die Wahrheit, die Wahrheit. Nichts als die Wahrheit. Nur sagt sie auch die ganze Wahrheit?«
    »Verzeihung, Ehrwürdige«, erwiderte der Protokollführer. »Ihr Verhalten während des Einsatzes im Fall Tissan Brandner spricht dennoch gegen sie.«
    Oda nickte. »Das sehe ich auch so. Aber ich bin mir sicher, Zarah wird uns gleich alles über ihren … guten Geist erzählen, der sie vom rechten Weg abgebracht hat. Nicht wahr?«
    Kein Wort mehr. Keinen Gedanken! Die Anhörung war vorbei, zumindest für sie. »Verzeiht mir mein Versagen, und bestraft mich nach eurem Ermessen.« Ihre Zunge, die vor Durst geschwollen zu sein schien, bewegte sich träge. »Aber ich habe nichts mehr zu sagen.«
    Stille breitete sich aus. Schließlich stand der Protokollführer auf und drehte langsam den Kopf. »Ehrwürdiger? Wie lautet Euer Urteil?«
    Abbas und Oda sahen zu Gaius. Als er sich leicht nach vorn beugte, schien es, als wäre einem Stein Leben eingehaucht worden. »Ein Brandzeichen soll ihre Magie für immer unterbinden. Sie ist nicht mehr eine von uns.«
    »Aber«, flötete Oda empört, »sie hat es verdient, hingerichtet zu werden! Sie …«
    Das Steingesicht wandte sich ihr zu und brachte sie jäh zum Verstummen. »Ich habe das Urteil gesprochen. So wird es sein.«
    Zarah schaute auf. Das war wohl seine Auffassung von Väterlichkeit. Sie sollte nicht getötet werden und … doch irgendwie schon.

6
    Wenn du unsichtbar bist, fließen die Nächte an dir vorbei wie ein träger Strom, wochen- und monatelang.
    Zarah atmete, aß und schleppte sich allabendlich zur Arbeit. Sie tat, was sie tun musste, bis sie am frühen Morgen die Augen schließen und die Welt hinter sich lassen durfte. Manchmal glaubte sie, wütend zu sein. Auf das Tribunal, das ihr Wesen verstümmelt, auf Ash, der sie im Stich gelassen hatte. Doch die Keime dieser Wut fanden nie die Kraft, sie aufzurütteln.
    Es gab Nächte, in denen sie kein einziges Wort hervorbrachte, obwohl sie alten Kollegen begegnete, vieles sah und hörte. Beinahe schon zu viel. Doch niemand redete mit einer Geächteten. Hätte Enya nicht zu Hause auf sie gewartet, hätte sie vermutlich verlernt zu sprechen. Immerhin hatte sie Arbeit. Als Sprössling eines Abgeordneten, der einer der höchsten Dämonenkasten angehörte, hatte sie noch einmal eine Chance bekommen. »Nutze sie klug«, hatte Gaius zu ihr gesagt, als er sie nach der Vollstreckung des Urteils auf der Krankenstation des Arresttrakts besucht hatte. Zumindest, sofern sie sich die Begebenheit nicht nur eingebildet hatte – unter Schmerzen und ohne Medikamente hatte sie mehrere Tage in einem halb bewusstlosen Zustand verbracht.
    Wenigstens war sie jetzt in der Lage, sich und Enya über die Runden zu bringen. Irgendwie. Schön den Kopf über Wasser halten, und sollte es steigen, tief Atem holen, in der Hoffnung, es fließt wieder ab, bevor dir die Luft ausgeht.
    Auch nach Monaten hatte sie Enya nicht erzählt, was vorgefallen war. Weder von dem Tribunal noch von dem Urteil und dessen Vollstreckung.
    »Manchmal verbrennt man sich nun mal am Leben«, hatte ihre Erklärung gelautet, als die Wunde verheilt war und sie ihre Schwester endlich hatte sehen dürfen. Enya hatte nicht nachgehakt.
    Nacht für Nacht stellte Zarah ihr Fahrrad an der Mauer des Ordnungsamtes ab, die das ehemalige Uni-Gelände an der Schwarzenbergstraße umschloss, und zwang sich, zur Pforte des Wachpostens zu gehen. Jedes Mal, wenn sie kurz davor verharrte, um den Chip in ihrer Armfessel an das Lesegerät zu halten, schweifte ihr Blick die Straße entlang. Irgendwo dort lag ihr Lieblingscoffeeshop, den sie nie mehr betreten würde. Nicht nur, weil sie sich dort höchstens noch ein Tütchen Zucker hätte leisten können, sondern weil sie als

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