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Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde

Titel: Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O Krouk
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Seit wann war er in der Stadt? Und warum? Etwa ihretwegen?
    Sieh hin . Was erkennst du im Licht?
    Sie erinnerte sich an einen Traum. Ein Wirrwarr aus Bildern der Vergangenheit und Illusionen überflutete ihr Gehirn. Erneut fühlte sie, wie er ihre kleine Hand nahm und sie hinter sich herzog. In die Dunkelheit. Bis zu dem Licht. In dem die kleinen Menschen spielten.
    Gaius, ihr Erzeuger. Ihr Vater, hätte Enya gesagt, doch unter Dämonen herrschten keine Familienverhältnisse. Nun sah sie ihn nach all den Jahren wieder, einen Fremden, von dem sie abstammte. Er würde keine Fragen stellen, keinen Blick auf sie richten, doch sein Wort würde das Urteil verkünden.
    Zu seiner Linken saß Oda, eine Seherin in der Blüte ihres Lebens, die nach Wiesen und Wäldern duftete und ein Herz besaß, in dem auch der letzte Tausendfüßler einen Platz fand. Manche tuschelten, ob tatsächlich etwas in ihrer Brust krabbelte und wuselte wie in morschem Holz.
    Rechts von Gaius lümmelte sich Abbas auf seinem Stuhl, der Abteilungsleiter für operative Einsätze. Er sah aus wie ein älterer Mann, der einem Seniorenheim abhandengekommen war. Sein lichtes weißes Haar hing ihm strähnig bis zu den Schultern. Der verblichene Pullunder entblößte die dürren, nackten Arme, an denen die Haut schlabberte, sobald er anfing zu gestikulieren. Doch hinter dieser harmlosen Erscheinung verbarg sich ein jahrhundertealter Ghul mit einem Verstand, scharf wie die Sense des Gevatters Tod.
    Der Protokollführer nahm an seinem eigenen Tisch Platz, der seitlich unter einem schmalen, schmutzigen Fenster stand. Genauso nuschelig und monoton wie zuvor begann er seinen Text herunterzuleiern: »Fall G-154-3x. Der Angeklagten werden mangelnde Loyalität, Deckung eines Verräters und Verschwörung gegen die Nachtseite zur Last gelegt.« Erneut rieb er sich die Knollennase, schniefte und blickte auf. »Ist dein Name Zarah?«
    Sie fuhr sich mit der Zunge über die spröden Lippen. »Ja.«
    »Wie alt bist du, und über welche Dämonengestalt verfügst du?«
    »Sieb … nein … achtzehn. Schon achtzehn. Meine magische Natur ist noch nicht zur Geltung gekommen.«
    »Bist du eine Angestellte des Ordnungsamtes, Abteilung für operative Einsätze, und somit mit dem Kodex bestens vertraut?«
    Sie nickte. Ihr ausgedörrter Mund machte das Reden zur Qual.
    Mit zusammengekniffenen Augen sah der Protokollführer sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Antworte laut, damit die ehrwürdige Oda den Wahrheitsgehalt deiner Worte sehen kann!«
    Zarah würgte ein heiseres ›Ja‹ hervor.
    »Dein Partner war Ashriel, zu dem du ein enges Verhältnis gepflegt hast. Ist das richtig?«
    Ein enges Verhältnis? Sie waren Freunde. Nur Freunde … Denn das bisschen, was noch fehlte, damit es mehr war, hatte weder sie noch er zugelassen. Trotzdem rang sie sich zu einem weiteren ›Ja‹ durch. Sollten doch ihre Richter denken, was sie wollten.
    Der Stuhl quietschte, als der Protokollführer sich vorbeugte. »Wann hast du erfahren, dass er zur Lichtseite überlaufen wollte? Wann wolltest du ihm folgen? Was war euer Plan? Wer war noch involviert?«
    Zur Lichtseite übergelaufen?
    Sie musste sich zusammenreißen, um nicht laut aufzustöhnen. Ash – bei den Engeln? Die Vorstellung grenzte an Irrsinn.
    Doch plötzlich waren sie da, die Erinnerungen. Gesprächsfetzen, die erst jetzt wirklich einen Sinn ergaben.
    Ich kann nicht, Zarah , hatte Ash kurz nach dem Einsatz gesagt, dem letzten vor der Geheimmission und seinem Verschwinden. Ich kann das einfach nicht mehr. Den ganzen Weg über hatte er ihren Blick gemieden, nun schaute er sie unverwandt an. Zarah konnte diesen Blick noch weniger ertragen als ihren Job. Denn etwas Endgültiges verbarg sich darin und wartete nur darauf, ihr wehzutun.
    Zitronenduft durchwehte den Raum, und eine liebliche Stimme sagte: »Ach Kindchen, was ist denn los? Wenn du unschuldig bist, hast du nichts zu befürchten.« Oda hatte ein Päckchen mit einem Erfrischungstuch aufgerissen und reinigte sich damit die Hände.
    Zarah wurde sich wieder des kalten Saals bewusst, der Handschellen und der Richter vor ihr, die keine Schwäche tolerierten.
    Sie musste die Schultern straffen. Antworten. »Ich wusste nichts von seinen Plänen.«
    Doch die Erinnerungen schwanden nicht, quälten sie weiter mit einer Klarheit, die sie erneut erzittern ließ.
    Was kannst du nicht? , hatte sie nachgehakt und auf einmal keine Erklärungen hören wollen. Sie wusste nicht, ob sie diese

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