Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
mussten einfach zusammenhängen. Aber … eine hohe Dämonenseherin und eine Menschenfrau? Was verband diese beiden miteinander?
Das geht dich absolut nichts an! Schluss mit jeglichem Denken.
Doch es ließ sie nicht mehr los. Nicht, während sie die Toilette zu Ende säuberte, und auch nicht, als sie auf ihrem klapprigen Fahrrad nach Hause gurkte. Die Ermittler des Ordnungsamtes würden keine Verbindung zwischen den beiden Fällen erkennen; sie waren nicht beim Angriff des Formwandlers dabei gewesen. Und wer nahm schon den Tod eines Menschen näher unter die Lupe?
Ist doch egal. Was kümmert dich das?
Die Antwort kam wie von allein: Wenn ich den Fall löse, wäre das die Chance, die Gunst der Nachtseite zurückzuerlangen. Und keine Klos mehr zu putzen.
Von dem Gedanken wie elektrisiert, trat sie umso energischer in die Pedale. Sie sah bereits ihr neues Heim, steuerte auf das geöffnete Gartentor zu und … bremste so scharf, dass sie fast vom Fahrrad gestürzt wäre. Unter dem schiefen Vordach stand Enya und verabschiedete diesen Dämon mit der widerlich schönen Visage.
Gallagher.
7
Ein verschmitztes Lächeln. Ein sanfter Händedruck. Enyas ganzes Wesen schien zu strahlen, während ihr schüchterner Blick entzückt über seinen Körper wanderte. Noch ein bisschen mehr Glückseligkeit, und sie würde abheben wie ein Luftgeist. Das Einzige, was sie daran zu hindern schien, war Gallaghers Hand, die zum Abschied ihre Finger umschloss.
Bist du ganz sicher? , blubberte die Stimme des Wodjanois in Zarahs Kopf. So ausgelassen hatte sie ihre Schwester in der letzten Zeit nie zu Gesicht bekommen. So glücklich-naiv. So verletzlich.
Aber mal ehrlich, wann hatte sie sich zum letzten Mal die Mühe gemacht, eine Pause von ihrem Selbstmitleid einzulegen? Du bist ein egoistisches Miststück, sonst hättest du längst bemerkt, was hier vorgeht.
Oi, oi , gurgelte der Wassergeist in ihrem Verstand, als wäre er ein Teil von ihr und nicht bloß eine Erinnerung. Aber was ich soll auch mit ein Neugeboren?
Sie hörte das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und das Knirschen des Kieses unter ihren Turnschuhen, während sie zum Vordach rannte.
»Lass die Finger von meiner Schwester!« Sie packte Gallagher am Arm und verpasste ihm einen Tritt, der seine Beine einknicken ließ. Der Dunst der Reinigungsmittel hatte noch nicht gänzlich die Aufseherausbildung aus ihr geätzt. Sogleich versetzte sie ihm einen weiteren Schlag, und er stürzte die wenigen Stufen herunter.
»Hörst du?«, brüllte sie ihm ins Gesicht, als er auf dem Rücken lag und sie ihm ein Knie auf die Brust setzte. »Wag es ja nicht, sie anzurühren!«
Allein mit diesem Ausruf hatte sie mindestens ein Dutzend Paragrafen des Kodexes verletzt. Ohne Erlaubnis durfte sie als Geächtete keinen Dämon und erst recht keinen Mitarbeiter des Ordnungsamtes ansprechen. Von Handgreiflichkeiten ganz zu schweigen. Die Armfessel registrierte auch ihren Puls und Blutdruck, was sicherlich unangenehme Fragen nach sich ziehen würde. Denn Wutausbrüche waren Menschen und Geächteten verboten.
»Nein, was tust du da? Bitte nicht!« Enya. Große Augen, dunkle Wimpern, Hummelbeinchen. Dabei war die Tube mit der klumpigen Tusche längst im Müll gelandet.
»Ja, Zarah.« Gallaghers Blick neckte sie. »Ich habe dich auch sehr vermisst. Aber wenn du das nächste Mal das Bedürfnis hast, dich mir an den Hals zu werfen, dann bitte weniger stürmisch.«
»Lass deine dreckigen Pfoten von meiner Schwester!« Sie ließ ihre Faust auf sein Gesicht niedersausen.
Er wehrte ihre Hand ab. »Also, meine dreckigen Pfoten waren vorgestern bei der Maniküre. Was man von deinen nicht gerade behaupten kann, Dornenzunge.« Es war nicht nur der Blick. Etwas lag in seiner Stimme, etwas, was kein Dämon zulassen würde, ohne Konsequenzen zu fürchten. Gefühle. Wärme. Und natürlich der sanfte Spott. Ihre Hand war auf seiner Brust gelandet, und unter der Handfläche spürte sie seinen Herzschlag, der mit einem Mal ihr ganzes Wesen durchdrang.
»Zarah! Was tust du da? Hör auf damit!« Enya hatte sich aus dem Rollstuhl erhoben und klammerte sich mit aller Kraft an das Geländer.
Wie schon in Tissans Wohnung nutzte Gallagher ihre Unachtsamkeit, um sie abzuwerfen und auf die Beine zu kommen. »Keine Sorge«, wandte er sich an Enya und schüttelte den Dreck aus seinem rabenschwarzen Haar aus. »Das Vorspiel fällt bei Zarah immer etwas zu leidenschaftlich aus, aber abgesehen von ein paar blauen Flecken
Weitere Kostenlose Bücher