Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
auch nimmst, ich will, dass du damit aufhörst. Hörst du?«
Enya gab den Rädern Schwung, rollte an ihr vorbei.
»Enya!«
»Lass mich in Ruhe!«
»Ich will doch nur dein Bestes.«
»Was ist denn mein Bestes? Du kennst mich doch gar nicht!« Die Küchentür knallte zu.
Stöhnend ließ sich Zarah auf den Hocker am Tisch fallen. Die dünne Stimme vorhin, die so fröhlich durch das gesprungene Fenster drang. Die Gemütsschwankungen. Die Ohnmacht.
Gallagher, der eine zierliche Hand sanft in der seinen zum Abschied hielt …Die Andeutungen des Wodjanois.
Zarah stürzte in den Flur. »Enya! Du bist schwanger. Du bist schwanger, nicht wahr? Ist es von …«
Eine weitere Tür schlug zu und schnitt ihr das Wort ab.
Das Wasser war kalt. Aber sie mussten sparen, auch am Wasser, das sie mit Eimern von der Pumpe am Ende des Weges herbeischleppen mussten. Zarah streifte sich die Klamotten vom Leib und stieg in die Wanne. Sie seifte sich ein, spülte den Schaum wieder ab und wusch auch gleich ihre Kleidung. Es machte ihr nichts aus zu frieren, jetzt noch weniger als sonst.
Von der Leine, die quer durch das Bad gespannt war, nahm sie die frischen Sachen ab, die nassen hängte sie auf. An dem T-Shirt, das sie bei Gallagher getragen hatte, leuchteten unverändert Friedberts Staubflecken.
In ihrem Zimmer breitete Zarah die ausgedruckten Unterlagen aus, hüllte sich in ihre Jacke und zog sich die Handschuhe über. Durch das zerbrochene Fenster strömte Kälte herein. Sie würde es nie erfahren, wer von ihren ehemaligen Kollegen nach ihrer Entlassung Steine auf das Haus geworfen und Beleidigungen an die Wände geschmiert hatte.
Nach einer halben Stunde merkte sie, dass sie noch immer nicht über den ersten Absatz hinausgekommen war. Frustriert schob sie die Blätter von sich. Sie lauschte, um wenigstens ein Lebenszeichen von Enya zu erhaschen. Vielleicht hätte sie das Mädchen nicht so vor den Kopf stoßen sollen.
Warum tust du dir das eigentlich an?
Ohne Enya wäre alles anders gewesen.
Ohne sie wäre ich jetzt womöglich bei Ash.
Aber was wärst du ohne sie?
Zarah dachte an den Tag, an dem sie Zeugin dieses seltsamen Menschenbrauchs geworden war, einer Beerdigung. Als Handwerker war Enyas Vater in ein Haus gerufen worden, in dem es einen Rohrbruch gegeben hatte. Was keiner ahnte: Das Gebäude stammte aus Kriegszeiten. Während der Kämpfe war es so sehr von der Magie angenagt worden, dass die Balken das Gewicht nicht mehr trugen. Das Haus brach über ihm zusammen. Erst nach drei Tagen barg man seine Überreste, um diese in einem hastig zusammengezimmerten Sarg beizusetzen. In der Nacht davor hatte es geschneit, und dann waren die Temperaturen über die Nullmarke gestiegen und hatten den Schnee in grauen Matsch verwandelt. Unter einem Busch hinten im Hof hatte in der eisigen Erde ein Loch geklafft – geweihte Friedhöfe durften nicht genutzt werden, weswegen die Menschen die Leichen ihrer Angehörigen begruben, wo immer sie ein Plätzchen dafür fanden. Die wenigen Versammelten froren, und sogar der Priester, der heimlich zur Beisetzung geladen worden war, bemühte sich, seinen Part schneller herunterzuspulen. Nur Enya saß bewegungslos in ihrem Rollstuhl und starrte mit leerem Blick auf den Sarg. Auch dann noch, als die anderen Trauernden schon längst gegangen waren. Zarah war zu ihr getreten, um sich zu erkundigen, wie lange ihre Schwester in der Kälte noch auszuharren gedachte. Doch noch bevor die Frage ihre Lippen verlassen konnte, spürte sie, wie Enya ihre dürren, klammen Finger in ihre Hand schob. »Jetzt sind wir wohl eine Familie«, flüsterte sie, und etwas in ihrem Ton hatte Zarah einen Schauer über den Rücken gejagt. Etwas Endgültiges, etwas, was alles veränderte.
»Zarah?«
Sie schreckte hoch. Enya war mit ihrem Rollstuhl ins Zimmer gerollt und knetete ihre Finger. Dürr, wie damals beim Begräbnis, und bestimmt auch klamm. Sie fror so leicht. »Ich habe geklopft, aber du hast nicht geantwortet.«
»Nein, nein, mach dir keinen Kopf deswegen. Es ist schon in Ordnung. Geht es dir … besser?«
»Ja. N-nein. Ehrlich gesagt, geht es mir scheußlich.« Sie senkte die Wimpern. Die von der Tusche unbeschwerten, schönen Wimpern, die seidig schimmerten. »Ich muss mich bei dir entschuldigen. Keine Ahnung, was in mich gefahren ist. Ich hätte nicht so … ätzend zu dir sein dürfen.«
Zarah nickte. »Es tut mir auch leid.« Die Worte klangen fremd. Mit Entschuldigungen kannte sie sich nicht aus. Sie
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