Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
man die Magie an das Opfertier, wenn die eigene nicht ausreicht oder wenn man keine eigene hat.« Tu es endlich, worauf wartest du nur? Tu es! »Die Organe dienen dann als eine Art Katalysator für den nächsten Zauber …« Tu es, Zarah! Lass dich durch das Opfertier von der Magie berühren. Die Augen des Stiers. Oda. Die Augen der Seherin.Das Herz einer möglichen Prophetin. Mächtige, überaus mächtige Organe.
»Oh Höllenfürst. Das ist es!«
»W-was?«
»Die Mordserie. Die entwendeten Organe. Irgendjemand bereitet sich auf einen gewaltigen Zauber vor. Vielleicht sogar auf den größten in der gesamten Dämonengeschichte nach dem Ende der Welt.«
»Durch die Tötung eines Huhns?«
»Doch nicht mit dem Huhn!«
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
Zarah schüttelte nur den Kopf. Ich auch nicht. Zumindest nicht ganz. Aber langsam weiß ich, warum Abbas so nervös ist, und es beginnt, mir Angst zu machen.
1 4
Das nächtliche Hamburg – die Spukgestalt einer mächtigen Metropole. Die halb zerstörten Häuser jagten den Golf von den leeren Straßen der Randbezirke fort, welche tagsüber zu betreten das Gesetz verbot und nachts – die Vernunft. Hier und da huschten die vom flackernden Kerzenlicht erhellten Fenster der Bewohner vorbei, die sich wenigstens diese Beleuchtung leisten konnten. Immer wieder spähte Zarah in den Rückspiegel. Die Dunkelheit verstand es zu gut, das Leben zu verwischen und alles unwirklich zu zeichnen. Ihr Fuß auf dem Gaspedal stemmte beinahe ein Loch in den Boden, doch der Tachozeiger verharrte stur auf der 120. Mal glaubte sie, überhaupt nicht vorwärts zu kommen, dann riss die Geschwindigkeit alles mit, und sie fragte sich, wie sie bei diesem Tempo die nächste Kurve nehmen sollte.
»Du fährst ohne Licht.« Alessas schmale Finger rieben über den Hals unter dem hochgestellten Kragen der viel zu großen Uniformjacke. Die Füße gegen das Handschuhfach gestemmt, kauerte das Mädchen auf dem Sitz.
Zarah streckte eine Hand aus, um das wirre, blonde Haar etwas zur Seite zu streichen. So, wie sie es oft bei Enya tat.
Du hast mich gestreichelt , hatte ihre Schwester einst gekichert und keck das Haar geschüttelt.
Unfug. Dämonen streicheln niemals. Und niemanden.
Du aber schon.
Sie senkte den Arm, der Enya nicht streicheln konnte und das mit Alessa an ihrer Stelle plötzlich nicht tun mochte, und starrte durch die Windschutzscheibe. »Es war eine sehr … hübsche Kette.«
Irgendwann, kurz nach ihrem Ausbruch aus der U-Bahn-Station, hatte die Welt angefangen, lauter zu atmen. Alessas Seufzen tönte rauschend, schon fast verzerrt zu ihr herüber. »Wir haben uns deswegen gestritten. Damals, zu Hause. Kurz bevor du gekommen bist, um uns zu retten.«
»Und alles endete.« Sie sah es vor sich: Ein etwa sechzehnjähriges Mädchen, das hinter dem Fenster vorbeihuschte, und einen Mann, der ihm etwas hinterherrief. Jetzt gab es keine Scheibe, durch die sie Alessa beobachten könnte. Keinen Mann. Und das damalige Mädchen vermutlich auch nicht mehr. »Dein Vater?«
Alessa senkte den Kopf. »Er hatte nie etwas Schlimmes zu mir gesagt, was er später bedauert hätte, auch damals nicht. Nur, dass ich die Kette abnehmen sollte, um mit dem Schmuck nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Ich war so aufgewühlt, habe ihn beschimpft. Da war er lieber in den Hof gegangen.«
»Diesen Schuh musst du dir nun wirklich nicht anziehen. Auch wenn er bei euch geblieben wäre, hätte ihn vermutlich kein besseres Schicksal erwartet. Es ist ein Glück, dass wir wenigstens dich retten konnten.«
Aus den Wolkenfetzen tauchte der Mond auf.
Alessas Atmung schien sich zu verändern.
»Lessa? Alles in Ordnung?« Sie rüttelte das Mädchen an der Schulter.
Der Kopf, in das blonde Gewirr wie in einen Kokon gehüllt, baumelte zur Seite. »Timmerhorn«, kam es schwach unter den Strähnen hervor.
»Bitte?«
»Sch-schon zu weit vom S-sucher entfernt. Muss’ dafür sorgen, dass …« Alessa schluckte. Laut hallte das Geräusch in Zarahs Ohren. »H-hör z-zu. In Timmerhorn is … ist ein Reitstall. Fragst … nach Mattes, dem Stallburschen, und kriegst ein Pferd. Mit dieser Kiste hier kommst nicht …« Sie machte einige tiefe Atemzüge, kämpfte um die Klarheit der Worte: »Technik funktioniert dort genauso wenig wie Magie. Verstehst du?«
»Timmerhorn – Pferdestall – Mattes. Das kann ich mir merken.«
»Mattes fragt dich, wer du bist. S-sag ihm, dass … dass dich gute Geis-ster schicken.«
»Ja.
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