Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
an jemandem fest, der sie einige Schritte mitzog, bevor er sie wegstieß. »Lessa!«
Ein Griff um ihr Handgelenk, ein Ruck. Sie riss sich los. In ihrem Augenwinkel tauchte das Gesicht des Mädchens auf. Endlich. Sie packte die Kleine am Oberarm. »Die Aufseher kommen!«
Einem Feuer gleich breitete sich der Ruf in den Gängen aus, verschluckte das übliche Geschrei und Gestöhne. »Die Aufseher! Sie kommen! Sie töten!«
»Na, willst du es immer noch allein schaffen?« Sie spürte, wie Alessas Körper sich an sie schmiegte. Wie das Menschenherz raste, so eindringlich, als wäre es ihr eigenes.
»Nein. Nein.«
Oben auf der Treppe flackerten Taschenlampen auf. Zarah legte einen Arm um Alessas Taille und drückte das Mädchen fester an sich. Die Aufseher stießen die Elenden auseinander und sandten Lichtstrahlen in die blassen, der Helligkeit entwöhnten Gesichter. Schüsse hallten, trafen Leiber, die stürzten, um von vielen Füßen niedergetrampelt zu werden.
»Mir nach!« Zarah zog das Mädchen in den Menschenstrom, der nach unten zu den Gleisen drängte. Lessas Finger hatten sich krampfhaft um ihre Hand geschlossen. Ihre eigenen spürte sie kaum noch. »Wenn du stolperst, bist du tot.«
Die Schüsse, die Schreie, das Schlagen so vieler Herzen. Eine Kugel traf die geflieste Wand. Nur kurz kniff Zarah die Lider zusammen, als die Splitter in ihre Wange stachen. Nicht anhalten. Nicht Alessas Hand loslassen.
Sie taumelte über die Gleise und steuerte auf die Verteilerebene zu. Die Ausgänge würden bewacht sein, die Aufseher trieben die Menschen gezielt in eine Richtung. Und dort wären sie verloren.
»Rühr dich nicht vom Fleck!« Sie schob Alessa in eine Ecke und brüllte in die Massen: »Hier oben, hier ist der Weg frei!«
Es stimmte nicht, aber zusammen mit dem Menschenstrom, der sie erfasste, stürzte sie zum Ausgang. Mehrere Aufseher, die Waffen im Anschlag, versperrten den Weg nach draußen.
»Feuer!« Das Brüllen fegte über ihre Köpfe hinweg.
Die Kugeln fliegen. Eine wird sie in die Brust treffen, ist auf dem besten Weg zu ihrem Herzen. Sie tritt zur Seite, ohne Eile, und duckt sich hinter einen Mann, der mit den Armen rudert und nach vorn stürzt. Neben ihr dehnt sich ein Aufschrei, als jemand vom Tod getroffen wird, der ihr galt. Der Mann vor ihr fällt immer noch, als sie sich schon hinter einen anderen schiebt. Der Aufseher ganz links steht etwas abseits von seinen Kollegen. Er merkt, dass sie ihn im Visier hat, reißt seine Waffe herum. Noch fünf, vier Meter trennen sie voneinander. Die Mündung richtet sich auf ihr Gesicht, doch sie ist schon vor ihm und biegt den Lauf hoch. Seine Augen weiten sich. Der Mund will einen überraschten Ausruf freilassen. Wie sein Genick knackt, hört er nicht mehr. Die Maschinenpistole liegt schwer in ihren Händen. Sie zielt auf die anderen Beamten und drückt auf den Abzug. Nichts. Immer noch nichts. Endlich reagiert die Waffe.
Achtmal. Jeweils ein Kopfschuss.
Das plötzliche Schwindelgefühl zeichnete die Konturen der Umgebung weich. Ihre Knie zitterten. »Alessa! Komm!«
Das Mädchen tauchte vor ihr auf. Das Gesicht blass, der Blick starr. »Zarah … du warst …«
»Gut. Ich weiß.« Sie zog einem der gefallenen Aufseher die Uniformjacke aus und schlüpfte hinein. Eine weitere warf sie Alessa zu, in die sich das Mädchen bereitwillig einwickelte.
»Deine Augäpfel sind blutunterlaufen.« Alessa beugte sich zu einem der Erschossenen und nahm ihm seine Waffe ab. »Ist das auch … gut?«
Nein. Überhaupt nicht. Zarah senkte die Lider und deutete auf die Maschinenpistole. »Kannst du damit umgehen?«
»Das werden wir früh genug feststellen.«
»Na gut. Blitz-Gebrauchsanweisung: Es ist eine MP 7.« Sie überprüfte die Munition. »In diesem Fall mit einem 30-Patronen-Magazin ausgestattet. Davon stehen dir noch 23 Schüsse zur Verfügung. Hier hast du ein Reflexvisier. Und so kannst du die Schulterstütze ausziehen. Die Waffe ist standardmäßig auf hundert Meter genullt.«
»Und was heißt das?«
»Auf hundert Meter trifft die Kugel dorthin, wohin der rote Punkt zeigt. Die Waffe kannst du entweder im Einzelschuss- oder im Dauerfeuermodus gebrauchen. Je nachdem, wie lange du auf den Abzug drückst. Alles klar?«
»Klarer geht’s kaum.«
Zarah wischte sich über die Stirn und bemühte sich, den Blick auf das Mädchen zu fokussieren. Die Bisswunde anzufassen, traute sie sich nicht. Das Brennen hatte sich weiter ausgebreitet, fast über ihre ganze
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