Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
aufmerksam von dir. Komm.«
Benommen tappte sie der Perchta hinterher, die den Mann zu einem nahe gelegenen Teich schleifte und sich am Ufer niederließ. Unter dem dunklen Wasser trieben silberne Schleier wie Federwolken, die sofort zu der Frau strömten. Sie lächelte ihnen zu, summte und stopfte Steine in den Bauch des toten Mannes – einen nach dem anderen.
»Perchta? Warum hast du mir geholfen?«
»Habe ich das?« Ihre Augen leuchteten wie Bernsteine, die von Sonnenstrahlen durchdrungen waren.
»Hast du also nicht. Okay. Hm. Was verlangst du von mir dafür? Dass ich hierbleibe?«
»Hier bist du in Sicherheit. Nur wenige wagen es, mein Reich zu betreten und mich zu stören.« Unter der Robe holte sie eine Nadel und einen dicken Faden hervor und begann, den Bauch des Mannes zuzunähen.
»Perchta, bitte! Ich muss gehen. Ich …«
»Liebes, Liebes. Ungeduldig wie immer. Ich kann mich noch zu gut erinnern, wie ich dich damals aus dem Becken der ungeborenen Seelen gezogen habe.« Verträumt schloss sie die Augen.
»Du verwechselst da etwas. Ich bin eine Dämonin.«
»Ach?« Die Perchta hob den Blick, betrachtete Zarah nachdenklich und zuckte schließlich mit den Schultern. »Stimmt, Dämonen haben keine Seele.« Sie biss den Faden ab, erhob sich und rollte den Mann in den Teich. Sein Körper plumpste ins Wasser und wurde von der Schwärze verschluckt. »Na, was stehst du denn noch hier? Lauf. Lauf in die Tote Stadt. Doch bedenke: Deine Feinde sind dir immer noch auf den Fersen. Nimm dich in acht auf deinem Weg.«
»Danke, Perchta.«
Die Frau nahm den Eisenkettengürtel ab und begann sich zu verwandeln. Die Haut erschlaffte, die spitzen Zähne traten hervor, der Glanz des Haars stumpfte ab.
»Du … du trägst Eisen bei dir?«
»Die Magie in meinem Blut ist zu stark. Ich muss sie bändigen. Und nun: Fort mit dir!«
Zarah drehte sich um und lief davon. Sie verließ das Gelände des ehemaligen Seniorenheims, lief über die Straße und huschte zwischen die Häuser. Der Landwirtschaftsweg schlängelte sich an den verwilderten Feldern vorbei und verschwand hinten in einem Wäldchen.
Sie hockte sich neben einen Busch und inspizierte die Umgebung. »Du darfst nicht vom Weg abkommen. Na prima.« Irgendwo in der Nähe waren ihre Verfolger. Auf dem Weg würde sie ein viel zu leichtes Ziel abgeben.
Sie setzte sich in Bewegung, versteckte sich im Gehölz und kroch über die flachen Ebenen. Ab und zu sah sie die Aufseher, die die Gegend nach ihr und Alessa absuchten und sich in Richtung der Toten Stadt bewegten. Von den Feldern rückte der Nebel heran und kroch über den Boden. Ihre Füße versanken im milchigen Dunst, als sie das Wäldchen endlich erreichte und sich zwischen die Bäume schlängelte. Der Nebel kräuselte sich um die Stämme herum, umschmeichelte die Äste und spielte mit den schrumpeligen Blättern, die unter seinen Berührungen seufzten.
In der Nähe knackte ein Zweig. Sie fuhr herum, spähte zwischen den Bäumen hindurch, dann glitt ihr Blick höher. Von oben herab starrte ihr ein Gesicht entgegen. Mal zeichneten die nebligen Linien Furchen und Wölbungen in das verschwommene Antlitz, mal glätteten sie jeden Makel. Die Äste bildeten einen Kranz über dem Kopf, der Bart verfing sich in den Büschen.
»Du darfst die Nebelgestalten nicht ansehen.« Sie zwang ihren Blick gen Boden. Aus dem wolkenweißen Dunst, in dem ihre Füße knöcheltief versanken, streckten sich neblige Finger empor, griffen nach ihren Beinen, zupften an ihr. Sie wandte den Blick ab, suchte nach Rettung, doch der Spuk lauerte überall. Sie hetzte durch das Dickicht, stolperte über Wurzeln und Bodenunebenheiten. Zweige peitschten auf sie ein und zerkratzten ihr das Gesicht.
»Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir.« Die Stimme vibrierte in ihrem Kopf, brachte die Gedanken zum Klirren und den Verstand zum Bersten.
»Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn und wiegen und tanzen und singen dich ein.« Der Gesang durchströmte den Nebel, traf falsche Töne, die dennoch etwas erschreckend Anziehendes bargen und sie lockten.
Jeder Schritt, jedes Stolpern trieb ihr den Atem aus der Lunge.
Bald würde sie die Tote Stadt erreichen.
Bald würde es vorbei sein.
»Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir«, trällerte die Stimme. Doch diesmal war sie real. Diesmal gehörte sie einem Mann.
Keuchend blickte sie sich um. Bäume. Nur Bäume. Und die
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