Tag, an dem meine Schwester zur Dämonin wurde
die Menschen den Gerüchten, sie wäre entkommen und nährte den Widerstand aus einem geheimen Unterschlupf. Ihr Name war zu einem Symbol geworden, ihre Person zum Idol erhoben. Kein Mensch – eine Legende.
Zarah betrachtete Giulias tätowierte Wange. Jetzt, bei genauerem Hinsehen, erkannte sie die eingebrannte Häftlingsnummer, welche die kunstvoll ausgearbeiteten Flammen zu verbergen versuchten. Zumindest ein Überwachungslager musste Giulia schon einmal von innen gesehen haben.
»Schon gut. Natürlich helfe ich, wo ich kann.« Aber sie erkannte noch viel mehr als eine Nummer auf der Wange – die perfekten Züge, die wie von Künstlerhand gemeißelt waren, erschienen ihr immer vertrauter. Ja, jetzt wusste sie es wieder. Jetzt konnte kein Tattoo sie mehr täuschen.
Vor fast hundert Jahren hatten Dämonen alle Skulpturen zerschlagen. Vor knapp zweieinhalb Jahren hatte Zarah mit diesem Gesicht dasselbe vorgehabt.
Sie hatte sich damals zusammenreißen können. Sie würde es auch jetzt schaffen.
»Prima, ich wusste, dass wir uns verstehen werden.« Die junge Frau lächelte und streckte eine Hand aus. »Das Waka-Waka lassen wir sein, nenn mich einfach Giulia.« Die andere Hand schnappte sich das Veilchen.
Und du? Erkennst du mich auch? Weißt du noch all die Worte, die ich dir und Gallagher ins Gesicht geschrien habe? Weißt du noch, wie dein Lachen klang, als ich davongelaufen bin? Langsam löste sie die Finger, die sich zu Fäusten verkrampft hatten. »Ich mach das schon. Du musst das Unkraut nicht wegräumen.« Sie zupfte die Blume aus den gierigen Fingern.
»Nun. Wunderbar. Dann folge mir, Zarah.« Giulia entschwand in den Flur. Die schwarze Hose, die sich an ihre langen Beine schmiegte, betonte jede Vertiefung und Wölbung ihres Pos. Einst hatte sich Gallaghers Hand in diesen Po gekrallt, und Zarah musste daran denken, wie sein Blick damals den ihren traf. Sie stand nur wenige Meter entfernt, an ihrem geheimen Treffpunkt, während er ihr direkt in die Augen blickte und eine andere küsste. Ash hatte recht gehabt – aber das kam ihr erst Stunden später in den Sinn, lange nach der Leere, die zuerst ihren Verstand zu verschlingen drohte.
Alessas Finger verschränkten sich mit ihren, warm und weich. »Zarah? Ist alles in Ordnung?«
Einen Bruchteil einer Sekunde klammerte sie sich an diese Finger, bevor ihr einfiel, dass Dämonen sich niemals an jemanden klammerten. »Ja. Natürlich. Es geht mir gut.«
Und es fühlte sich tatsächlich gut an, nicht mehr so allein.
Giulia führte sie ins Erdgeschoss. Aus einem der Räume drangen Stimmen, doch die junge Frau machte erst in der Küche halt. Schmutziges Geschirr stapelte sich auf einem Metalltisch, daneben standen ein Eimer mit dampfendem Wasser und eine Schüssel. In einer Ecke hockte jemand vor einem offenen Unterschrank, knisterte mit einer Plastiktüte und stopfte sich etwas in den Mund.
»Du!« Giulia stürmte auf den Missetäter zu und zerrte ihn auf die Beine. Ungekochte Eiernudeln regneten zu Boden. »Du schon wieder!«
Es war ein Mädchen, erkannte Zarah, während Giulia die buckelige Gestalt zur Tür schleifte. Ein Mädchen mit einem Klumpfuß und unregelmäßigen Schritten, wie sie ihr manchmal in der Dunkelheit durch das Haus gefolgt waren.
»Wer ist das?«
Giulia schob das Mädchen in den Flur und machte die Tür zu. »Tara. Die Missgeburt stiehlt unser Essen.«
»Ein paar trockene Nudeln, ja?«
»Glaubst du, die Lebensmittel fallen hier vom Himmel?« Mit einer Hand fegte sie die Eiernudeln zusammen und ließ sie zurück in die Tüte rieseln. »Wir müssen streng rationieren, wenn wir überleben wollen.«
Giulia erhob sich und warf Zarah einen Scheuerlappen zu. Er war löchrig, ausgefranst und fühlte sich wie ein totes Tier an. »Ich habe gehört, du bist recht erfahren im Dreckschrubben, nicht wahr, Zarah?« Der Blick – die dunkle Süße von Amaretto und das Feuer von Samba. »Wie lange musstest du den Dämonen hinterherputzen?«
»Du hast anscheinend so einiges gehört.« Zarah nahm einen Teller vom Stapel, dachte an Enya und an ihren Auftrag. Sie musste sich zügeln. Feinde zu haben, konnte sie sich hier nicht leisten. »Ich nehme an, du hast hier das Sagen, wenn Ghost nicht da ist?« Die Marmelade vom Teller zu schrubben kostete sie weniger Überwindung, als an die Frau ihr gegenüber diese Worte zu richten.
»So ist es. Keine Sorge, ich habe das Gefühl, wir werden prima miteinander auskommen.«
»Solange ich keine Eiernudeln
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