Tag der Entscheidung
Großvater meines Herzens, seht Ihr eine andere Möglichkeit?«
Er sah sie an, abgebrüht von den vielen Jahren auf dem Schlachtfeld. »Ich sehe keine, Tochter meines Herzens. Es wäre nichts gewonnen, wenn Ihr Eurem Feind das Leben Eures Sohnes überlaßt. Wenn Jiro den Goldenen Thron besteigt, zerfällt unser Leben, zerfällt die Ehre der Acoma zu Staub. Was macht es schon, wenn die Versammlung uns zuvor verbrennt?« Er lächelte mit jenem Humor, den nur Soldaten aufbringen können, die dem Tod gegenüberstehen. »Sollten wir in Ehre sterben, werden wir in die Geschichte eingehen – als das einzige Haus, das bereit war, die Versammlung herauszufordern. Ein nicht gerade geringes Verdienst.«
Mara blickte starr geradeaus. Es gab keine andere Möglichkeit. Sie mußte fortfahren, mußte den letzten Befehl erteilen. Es war der schwerste von allen. »Keyoke, Incomo.« Ihre Stimme versagte. Sie stieß die angespannten Hände in den Schoß und zwang sich, an eine Stärke zu glauben, die nur vorgetäuscht war. »Unsere Wege müssen sich hier trennen. Ihr müßt mit dem Palankin und der Ehrengarde weitergehen. Bleibt auf der Straße nach Kentosani und tut, als wäre nichts geschehen. Ein vergleichsweise kleiner Dienst, mögt Ihr denken. Doch ich bin zutiefst überzeugt, daß sich Eure Aufgabe als die wichtigste herausstellen könnte. Die Schwarzgewandeten dürfen bis zum letzten Augenblick nicht den geringsten Verdacht hegen, daß ich einen anderen Weg genommen haben könnte. Euer beider Leben ist wichtig – für mich und für den Fortbestand des Hauses Acoma. Doch keine Lady meines Ranges würde zu einem Treffen mit den Magiern in die Heilige Stadt reisen, ohne die Berater mitzunehmen, die sie am meisten schätzt und die die meiste Erfahrung haben. Eure Gegenwart ist daher unabdingbar, um den notwendigen Schein zu wahren. Das Leben von Kasuma und Justin hängt davon ab.«
»Maraanni.« Keyoke benutzte ihren Kosenamen, wie in ihrer Kindheit. »Schüttelt Eure Furcht ab. Ich bin ein alter Mann. Die Freunde, die sich an meine Jugend erinnern könnten, sind fast alle in Turakamus Hallen, und wenn die Götter freundlich sind und mir meinen liebsten Wunsch gewähren, bitte ich darum, den Roten Gott viele Jahre vor Euch zu treffen.« Keyoke hielt inne, dann lächelte er plötzlich, als wäre ihm noch etwas eingefallen. »Mylady, Ihr solltet noch eines wissen: Ihr habt mich die wahre Bedeutung dessen gelehrt, was es heißt, ein Krieger zu sein. Jeder Mann kann im Kampf gegen Feinde sterben. Doch die wirkliche Ehre eines Mannes beweist sich anders, sie zeigt sich daran, ob er leben und lernen kann, sich selbst zu lieben. In meinem langen Leben habe ich viele Taten vollbracht. Doch erst Euer Geschenk, der Posten als Berater, zeigte mir die wahre Bedeutung meiner Verdienste.« Ein verräterischer Glanz schimmerte in Keyokes Augen, als er seine Lady um einen letzten Gefallen bat. »Mistress, mit Eurer Erlaubnis würde ich Saric gern bei der Auswahl der zehn Krieger helfen, die Euch bei Eurer eiligen Reise nach Kentosani begleiten sollen.«
Unfähig, irgend etwas zu sagen, konnte Mara nur nicken; sie verbarg die plötzlich aufsteigenden Tränen, als Keyoke seine Krücke zwischen den Kissen suchte und aufstand. Er ging davon in die Dunkelheit, aufrecht wie in seiner Jugend und mit derselben Hingabe, die sein ganzes langes Leben als Krieger geprägt hatte. Als Mara endlich den Mut fand, den Kopf zu heben, war er außer Sichtweite; doch sie hörte seine Stimme, als er sich von den wenigen Vorräten ein Schwert und einen Helm erbat.
»Verdammt«, antwortete er mit einem midkemischen Fluch, als jemand ihm vorschlug, in der würdevollen Bequemlichkeit des Palankins zu reisen. »Ich gehe bewaffnet und auf meinen Beinen, und jeder, der es wagt, mir etwas anderes einreden zu wollen, kann die Klinge mit mir kreuzen und sich ein paar Schläge einhandeln!«
Mara schniefte. Nur zwei Gesichter aus ihrem inneren Kreis blieben noch: Arakasis Bote, praktisch ein Fremder, und Incomo, dem sie nicht so nahegekommen war wie den anderen, die die Farben der Acoma schon länger trugen. Der feingliedrige, gebeugte alte Berater hatte zwei Häusern seinen Dienst geleistet und war Zeuge gewesen, wie Mara das seines ersten Herrn ausgelöscht hatte. Und doch wirkte er nicht betreten, als er die Mistress ansah, der zu dienen er geschworen hatte. Obwohl er ein vorsichtiger Mensch war, klang seine Stimme jetzt ungewöhnlich kräftig. »Lady Mara, Ihr solltet
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