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Tag der Entscheidung

Tag der Entscheidung

Titel: Tag der Entscheidung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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Lujan in die unbekannten Tiefen des Schwarm-Gedächtnisses hineingezogen worden waren. Mehr als je zuvor sah sie sich der Unfaßbarkeit einer fremden Rasse gegenüber, deren »Erinnerung« und »Erfahrung« Tausende von Jahren umfaßte und deren Vernunft ein Grundgerüst war, das nur nach Maßstäben des Wohlstands und Überlebens beurteilt wurde. Schlimmer noch, anders als der Schwarm, mit dem sie im Kaiserreich Kontakt hatte, waren diese fremden Cho-ja niemals gezwungen gewesen, anders zusammen mit Menschen zu leben als nach ihren eigenen Bedingungen. Es würde nicht einmal das unvollkommene Verständnis geben, das sie mit der Königin teilte, mit der sie seit Jahren eine Art Freundschaft pflegte.
    Lujan spürte die Verzweiflung seiner Lady. »Wir sind nicht ohne Hoffnung, Mylady. Dies sind zivilisierte Geschöpfe, die uns gefangenhalten. Sie müssen eine Abneigung dagegen haben, sofort zu töten, sonst wären wir noch auf dem Pfad gestorben.«
    Mara seufzte und äußerte ihren anschließenden Gedanken nicht: daß wenn sie anerkannte Feinde waren, es nicht auf ihre individuellen Taten zurückzuführen war, sondern auf die Handlungen aller Tsuranis in jedem Jahr der Geschichte. Die Berichte von Verletzungen aufrichtiger Verträge durch blutigen Verrat waren zu zahlreich, um sie zu zählen, und innerhalb Maras Lebensspanne hatten die Lehrsätze des Spiels des Rates viele Male Söhne dazu gebracht, ihre Väter zu töten, Clanangehörige dazu, andere Clanmitglieder zu vernichten. Ihre eigenen Hände waren weit davon entfernt, rein zu sein.
    Der rituelle Selbstmord ihres ersten Ehemannes war von ihr herbeigeführt worden; selbst wenn das Schwarm-Gedächtnis sie nur nach den Taten bemessen würde, die sie selbst begangen hatte, würden sich Widersprüche im Übermaß finden – zwischen den Schwüren, die sie in der Ehe geschworen hatte, und dem Haß, den sie im Herzen Jiros Bruder gegenüber empfunden hatte; in ihrem Verrat an Kevin, dem Barbaren, den sie geliebt und dann gegen seinen Willen fortgeschickt hatte, ungeachtet dessen, daß sie sein Kind in sich trug. Es kam ihr so vor, als sie sich auf die Lippen biß, um Tränen der Scham zurückzuhalten, als ob es nicht die Art der Cho-ja war, aus Fehlern zu lernen, denn alle Fehler ihrer Ahnen waren dem lebendigen Gedächtnis verfügbar. Sie waren eine Rasse, für die sich die Vergangenheit nicht auflöste. Vergebung galt ihnen nicht als die immer erneuerbare Quelle, die es für Menschen war – Groll konnte für Jahrtausende erhalten bleiben.
    »Lujan?« Das Echo von Maras Stimme klang in dieser begrenzten Kammer hohl vor Angst. »Was immer am Ende mit uns geschieht, wir müssen einen Weg finden, gehört zu werden!«
    Ihr Kommandeur wirbelte in einer Mischung aus Wut und Hoffnungslosigkeit herum. »Was kann ich noch für Euch tun, Lady, als mit meinen bloßen Fäusten gegen diese Wände zu trommeln?«
    Mara hörte die Verzweiflung, die er hinter seinem Draufgängertum verbarg. Seine Not ernüchterte sie; seit sie die Coalteca verlassen hatten, hatte keine von Lujans Fähigkeiten als ausgebildeter, erfahrener Krieger ihm dienen können. Er hatte keine Armee zu befehligen. An dem Tag, da die Thuril sie in einen Hinterhalt gelockt hatten, hatte sie ihm verboten, sie zu verteidigen. In Loso hatte er Beleidigungen erduldet, die er lieber mit vergossenem Blut beantwortet hätte. Er war erniedrigt und gedemütigt worden, in Ketten gelegt wie ein Sklave, gegen jeden Instinkt seiner Herkunft. Tief in seinem Innern, entfernt von seinen Kriegerkameraden, mußte er diese Umstände über alle Maßen trostlos finden.
    Lujan hatte Humor und Verstand – und Mut. Doch er besaß nichts von Arakasis losgelöster Faszination für das Unbekannte. Mara war ernüchtert, als sie erkannte, mit welchen Forderungen sie die Loyalität ihres Kommandeurs überfrachtete, und sie berührte seine Hand. »Seien wir geduldig, Lujan. Denn entweder ist unser Ende nahe, oder unser Ziel ist beinahe in Reichweite.«
    Sie hatte ins Zentrum seiner Gedanken getroffen, und Lujan erwiderte: »Ich fühle mich so wertlos, Mylady. Ihr hättet besser daran getan, Arakasi mitzunehmen oder Saric an Eurer Seite zu lassen.«
    Mara versuchte es mit Humor: »Was? Sarics endlose Fragen auszuhalten, selbst wenn die Götter höchstpersönlich um Ruhe bitten? Und Arakasi? Lujan, glaubt Ihr, daß er hätte zusehen können, wie Kamlio weggeführt wurde, ohne sich unbewaffnet auf ihre Wächter zu werfen? Natürlich nur, wenn sie

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