Tag der Entscheidung
werden muß.
»Lady, wenn ein Mann nichts mehr hat, was seine Kameraden und Freunde als wichtig erachten, wenn er ein Leben führt, das nach den Glaubenssätzen seiner Herkunft bedeutungslos ist, dann hat er nur noch seine Träume. Ich war dickköpfig. Ich hielt mich an meine Träume. Und eines Tages wachte ich auf und erkannte, daß mein Leben doch nicht ganz so fürchterlich war. Ich begriff, daß ich noch lachen konnte. Ich konnte noch fühlen. Ein Festmahl mit Wildbret konnte noch immer meinen Magen erfreuen, und eine Liebelei mit einer liebenswürdigen Frau versetzte noch immer mein Blut in einen Rausch und meinen Geist in Höhenflüge. Ein ehrloser Mann mag in der Zukunft leiden, wenn Turakamu seinen Geist zu sich genommen hat, und das Rad des Lebens zermalmt sein Schicksal zu Staub. Aber im täglichen Leben? Ehre hat nichts mit Freude zu tun.« Hier zuckte der Mann, der die Armeen der Acoma nun beinahe zwei Jahrzehnte geleitet hatte, unbehaglich mit den Schultern. »Lady, ich war der Anführer von Dieben, Banditen und Unglücklichen. Wir als Bande mögen nicht die große Ehre gehabt haben, die das Tragen von Hausfarben einem Mann gibt. Doch wir lebten nicht ohne unser eigenes Kredo.«
Mara konnte sehen, daß ihr Kommandeur aus Verlegenheit schwieg. Sie war sich bewußt, daß sein Unbehagen von etwas herrührte, das zentral für ihn war, und auch, daß mehr als Neugier sie drängte, als sie ihn sanft aufforderte: »Erzählt es mir. Sicherlich habt Ihr gemerkt, daß ich Traditionen nicht um ihrer selbst willen verfolge.«
Lujan lachte leise auf. »Darin ähneln wir uns mehr, als Ihr wissen könnt, Mylady Also gut. Die Männer, die ich führte, schworen mit mir einen Eid. Obwohl wir Geächtete waren und von den Göttern verstoßen, machte uns das nicht weniger zu Menschen. Wir bildeten etwas wie unser eigenes Haus, schworen uns gegenseitig Loyalität und fügten hinzu, daß was einem von uns geschah, von den anderen geteilt werden würde. Seht Ihr, Mara, als Ihr nun mit der Bereitschaft kamt, uns alle in ehrenvollen Dienst zu übernehmen, konnten wir nicht einzeln, sondern nur als ganze Gruppe akzeptieren. Als Pape mit Hilfe seiner raffinierten List entfernte Verwandte finden und uns in den Dienst der Acoma rufen konnte, hätten wir uns abgewendet, wenn auch nur ein Mann sich geweigert hätte.«
Mara sah ihren Kommandeur überrascht an, und der verlegene Blick in seinem wettergegerbten Gesicht brachte sie zu einer weiteren Schlußfolgerung. »Dieser Kode, von dem Ihr sprecht, er existiert immer noch.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Lujan räusperte sich. »Ja, das tut er. Doch als wir Euch die Treue beim Natami der Acoma schworen, fügten wir einen Kode hinzu, daß unsere Wünsche, Bedürfnisse und Ehre nach Eurer folgten. Doch innerhalb Eurer loyalen Armee gibt es immer noch eine Gruppe von uns, die eine spezielle Beziehung verbindet, eine, die wir mit keinem Eurer anderen Soldaten teilen können, egal, wie ehrenvoll er auch ist. Es ist ein Zeichen der Ehre, das nur für uns gilt, so wie Papewaios schwarzes Band der Verdammung seine eigene, persönliche Auszeichnung war.«
»Bemerkenswert.« Mara schwieg, die Augen nach unten gerichtet, als würde sie einen besonders gefährlichen Schritt überwachen, doch es war jetzt weniger steinig, und der Weg aus festgetretener Erde wurde von ersten Palmwedeln und dem Grün begleitet, das am Rand des Dschungels wuchs. Die Glastürme von Chakaha waren verschwunden, als sie an Höhe verloren hatten, verfinstert von den dichten, hohen Kronen der Tropenbäume. Ihre Gefahr war nicht geringer geworden, sondern verstärkte sich noch, und doch nahm Mara einen Augenblick Abstand von ihren Sorgen, um über das nachzudenken, was ihr Kommandeur gerade enthüllt hatte: daß er ein geborener Anführer war und daß seine Loyalität selten und tief war; daß er selbst nach dem Aufstieg auf einen höheren Posten das Wort gehalten hatte, das er den ehemaligen Kumpanen und jetzigen Soldaten gegeben hatte, als er sie einst anführte. Es war beachtenswert, dachte Mara, daß dieser Mann neben ihr einen angeborenen Sinn für sich hatte und persönliche Verantwortung empfand, die tiefer reichte als bei den meisten Herrschern, die in den Nationen regierten. Und all das hatte Lujan getan, ohne viel Aufhebens davon zu machen, ohne Anerkennung, selbst ohne das Wissen seiner Lady. Bis jetzt.
Mara warf ihm von der Seite einen Blick zu, und sie sah, daß er wieder die
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