Tag der Entscheidung
herstellen könnte. Ich hätte leicht noch einen Jungen bekommen können, also warum hat Hokanu so betrübt darauf reagiert, daß seine Erstgeborene eine Tochter ist?«
Ihre Augen blickten Lujan flehentlich an. »Kommandeur, Ihr seid ein Mann, der die Spiele zwischen den Geschlechtern versteht, zumindest sagt das der Küchentratsch. Die Küchenjungen erzählen unermüdlich von den Dienerinnen und Damen der Ried-Welt, die sich nach Eurer Gesellschaft sehnen.« Sie lächelte ihn ironisch an. »Tatsächlich gibt es ganze Scharen solcher Frauen, wenn man ihnen glauben soll. Wie kommt es, daß ein so kluger, weiser Mann wie Hokanu nicht erfreut ist über die Geburt einer gesunden und vollkommenen Tochter?«
Lujans Haltung wurde weicher, und Mitleid schien sich auszubreiten. »Lady, hat Hokanu es Euch niemals gesagt?«
»Was gesagt?« fragte Mara scharf. »Ich ging hart mit ihm um und war ziemlich unverblümt. Ich habe so tief geglaubt, daß sein Verhalten falsch war, daß ich ihn fortgetrieben habe. Doch jetzt bedauere ich meine Hartherzigkeit. Vielleicht lernte ich von Kamlio, besser zuzuhören. Denn ähnlich wie diese Cho-ja hier verdammte ich meinen Mann, ohne ihn jemals wirklich zu fragen, was er meinte.«
Lujan schaute sie einen Augenblick an. Dann, als hätte er eine Entscheidung getroffen, verbeugte er sich auf den Knien vor ihr. »Die Götter mögen mir vergeben«, murmelte er leise, »es ist nicht mein Recht, das Vertrauen zwischen einem Lord und seiner Frau zu zerstören. Doch morgen werden wir sterben, und ich bin immer Euer treuer Offizier gewesen. Lady Mara, ich möchte nicht, daß Ihr Euer Leben beendet, ohne das zu begreifen, was Ihr verstehen möchtet. Hokanu war von tiefer Trauer erfüllt, aber er hätte Euch niemals die Ursache mitgeteilt, selbst wenn Ihr zurückgekehrt wärt und darum gebeten hättet. Doch ich weiß, welcher Kummer ihn belastete. Ich war in dem Zimmer, als der Heiler von Hantukama Eurem Mann das erzählte, was er in seiner Güte schwor, Euch niemals mitzuteilen. Nach der Vergiftung durch den Tong, die zum Tod Eures ungeborenen Kindes führte, solltet Ihr niemals wieder ein Kind gebären können. Kasuma war Eure letzte Schwangerschaft. Hokanu behielt dieses Geheimnis für sich, weil er Euch die Hoffnung auf ein weiteres Kind erhalten wollte. Seine Tochter ist eine Freude für ihn, zweifelt nicht daran, und auch seine geweihte Erbin für die Shinzawai. Doch er weiß, und das macht ihn traurig, daß Ihr ihm niemals den Sohn schenken könnt, nach dem er sich tief in seinem Herzen sehnt.«
Mara war verblüfft. Ihre Stimme klang dünn. »Ich bin unfruchtbar? Und er wußte es?« Die ganze Bedeutung von Hokanus mutigem Entschluß prallte mit voller Wucht auf sie. Er war mutterlos aufgewachsen, und sein leiblicher Vater war durch die Versammlung der Magier von ihm genommen worden; Hokanus ganze Welt war die einer männlichen Kameradschaft gewesen, mit seinem Onkel, der sein Stiefvater wurde, und seinem Cousin, der sein Bruder war. Darin lag die Wurzel für die Sehnsucht nach einem Sohn.
Doch er war auch ein Mann mit seltenem Einfühlungsvermögen, der die Gesellschaft intellektueller Geister schätzte; während ein anderer Lord mit weniger Herz sich Kurtisanen als von den Göttern gegebenes männliches Recht genommen hätte, hatte Hokanu sie wegen ihres Verstandes geliebt. Sein Bedürfnis nach einer gleichberechtigten Partnerschaft war Realität geworden in der Heirat mit einer Frau, mit der er seine innersten Gedanken teilen konnte. Er verschmähte den Gebrauch von Konkubinen, die Gesellschaft von Frauen der Ried-Welt, die Vergnügungen, die er mit gekauften Geschöpfen wie Kamlio hätte finden können.
Jetzt verstand Mara, daß er vor einer Wahl gestanden hatte, die ihm abscheulich vorgekommen sein mußte: Entweder er nahm eine andere Frau in sein Bett, eine, die ihm nichts weiter bedeutete, als daß sie empfangen und gebären konnte, oder er verzichtete auf einen Sohn – und damit auf die Brüderlichkeit, die ihn mit seinem Stiefvater verbunden hatte, mit seinem Bruder und Justin, den er Mara zur Sicherung des Fortbestands der Acoma zurückgegeben hatte.
»Bei den Göttern …« Mara weinte beinahe. »Wie hartherzig ich gewesen bin!«
Sofort war Lujan bei ihr und legte seinen Arm um ihre Schulter. Mara ließ sich gegen ihn sinken. »Lady«, murmelte er in ihr Ohr, »es mangelt Euch ganz sicher nicht an Einfühlungsvermögen. Hokanu versteht, weshalb Ihr so reagiert habt.«
Lujan
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