Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tag der geschlossenen Tür

Tag der geschlossenen Tür

Titel: Tag der geschlossenen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
Vom Netzwerk:
schließlich möchte man mit der Befriedigung dieses Bedürfnisses die ganze Nacht verbringen. Wichtig ist zu guter Allerletzt, genug Rauchwerk, Feuer und etwas Geld in den Taschen zu haben. Der Rausch als die perfekte Flucht vor sich selbst, Ferien vom Ich, Alcoholidays, Urlaub in einem Paralleluniversum.
    Am frühen Abend lasse ich mich, gekleidet in meinen dunkelblauen Zweireiher mit schicken Mottenlöcherapplikationen und schwarzen Slippern, durch das Viertel treiben, um mich vom aktuellen Angebot inspirieren zu lassen. Nicht zu früh zugreifen, der erste Schluck soll wie das feierliche Durchschneiden eines Eröffnungsbandes sein. Ich setze mich in mein Lieblingsrestaurant in St. Pauli und bestelle mir ein großes Bier. Dann fällt es mir wieder ein. Die Luft. Es riecht so fremd hier. So süßlich, nach Schweiß, nach menschlichen Ausdünstungen, nach zu großer Nähe, es fehlt die herbe, trennende Note. Die Lust in mir erfährt einen rüden Dämpfer: das Rauchverbot. Das vor Kurzem endgültig durchgesetzte Rauchverbot. Der Endsieg der Ängstlichkeit, der Lustfeindlichkeit, der Kleinheit, der Vernunft. Ein Knoten der Ohnmacht und der Aggression bildet sich in mir, weil ich weiß, dass ich meinen Fahrplan der Freude nicht so durchfahren kann, wie ich es erwartet hatte. Wie konnten wir nur so weit kommen, dass wir uns von den Tristen sagen lassen, wie wir zu leben und zu sterben haben? Von den Tristen, die nie hier unten waren, die diese Ebene überhaupt nicht kennen. Die in geordneten und sauberen Verhältnissen geboren und aufgewachsen sind und nie einen Blick in diesen Teil der Welt warfen. Allein weil ihr Blick zu sachlich und zu nutzorientiert ist. Die glauben, sie hätten das Recht zu bestimmen, was richtig und was falsch, was krank und was gesund, was wert und was unwert, was gut und was schlecht für uns ist. Aufgrund von empirischen Daten aus den Gesundheitsberichten der Krankenkassen. Dabei ist das Rauchen durch das frühe Absterben nicht mehr produktiver Elemente volkswirtschaftlich ein absoluter Gewinn für die Gesellschaft, und beim Nichtrauchergesetz geht es ja wohl nicht um Altruismus, sondern um eine Kosten-Nutzen-Rechnung. Wieso gibt es eigentlich keine Lobby für die Raucherei, so wie für das Fressen und das Autofahren? Am Fressen und am Autofahren verrecken doch auch jedes Jahr Zigtausende. Allein deshalb, weil der Mensch fressen und Auto fahren muss. Rauchen muss er nicht. Das gefällt mir so am Rauchen. Wie vieles andere auch. Um Luis Buñuel zu zitieren:
     
    Unmöglich zu trinken, ohne zu rauchen. Der Tabak, der wunderbar mit dem Alkohol zusammengeht, wenn der Alkohol die Königin ist, ist der Tabak der König, ist ein angenehmer Begleiter in allen Wechselfällen des Daseins. Er ist ein Freund in guten und in schlechten Augenblicken. Man steckt sich eine Zigarette an, um ein freudiges Ereignis zu feiern oder um eine Qual zu verbergen, ob man allein ist oder in guter Gesellschaft.
    Der Tabak ist ein Vergnügen für alle Sinne, für die Augen, welch ein Anblick, wenn man unterm Silberpapier, wie bei einer Parade, die weißen Zigaretten in Reih und Glied liegen sieht, für die Nase, für die Fingerspitzen … Würde man mir die Augen verbinden und eine brennende Zigarette in den Mund stecken, würde ich mich weigern, sie zu rauchen. Ich möchte das Päckchen in meiner Tasche anfassen, es aufmachen, die Konsistenz der Zigarette zwischen zwei Fingern prüfen, das Papier auf meinen Lippen schmecken, den Geschmack des Tabaks auf meiner Zunge, die Flamme aufspringen sehen, mich ihr nähern und schließlich die Wärme in mir fühlen.
     
    Ja, das möchte ich auch. So verpönt und verdächtig, wie das Rauchen den Aufräumern der Gegenwart erscheint, so attraktiv ist es für mich. Fast erscheint es mir schon als notwendiges Zeichen des guten Geschmacks, als eine Art Grundrisikofreude, als Symbol der Lebensverschwendung, als Erkennungszeichen für die richtige Seite. Wer raucht, kann nicht ganz schlecht sein. Und wer nur Wasser trinkt, hat etwas zu verbergen. Wie all die Wassertrinker, die uns in eine gesunde und ungefährliche Zukunft geleiten wollen. Wildheit und Verwuchs, Zweifel und Fehlerhaftigkeit, ungesunde Leidenschaft und Leistungsverweigerung, Rausch und Ekstase, Grenzüberschreitung und Provokation, das Einreißen moralischer Grenzen, die Selbstverschwendung, die Nichtanerkennung von Hierarchien, der Wunsch nach Führungslosigkeit, all dieser unnütze Schmutz liegt auf dem Kehrblech

Weitere Kostenlose Bücher