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Tag der Vergeltung

Tag der Vergeltung

Titel: Tag der Vergeltung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liad Shoham
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Sarah Glasers Wohnhaus auf die Bank. Er musste verschnaufen, die Gedanken ordnen, verdauen, was sie ihm anvertraut hatte.
    Hätte Ohad sich ein wenig ins Zeug gelegt, hätte er schon damals aus ihr herauskitzeln können, was er erst heute erfahren hatte. Augenzeugen hatten häufig Angst, über das Erlebte zu berichten, das war nichts Neues. Alte, einsame Frauen umso mehr, und zu Recht. Hätte er früher davon gewusst, wäre er auf das Resultat der Gegenüberstellung weniger angewiesen gewesen. Neben der Zeugenaussage von Adi Regev hätte es die von Sarah Glaser gegeben. Und Adi hätte weniger unter Druck gestanden.
    Vorhin hatte er der Sache keine größere Aufmerksamkeit geschenkt, aber nun versuchte er sich mit aller Macht zu erinnern, doch es wollte ihm partout nicht gelingen – hatte Ziv Nevo eine Tätowierung auf dem Arm?

27
    Adi Regev ging schwerfällig durch ihre kleine Wohnung, versuchte sich für einen neuen Arbeitstag zu wappnen. Früher war sie aus dem Bett gesprungen, hatte sich blitzschnell zurechtgemacht und war die Treppe hinuntergewirbelt. In dieses frühere Leben zurückzufinden, wollte ihr nicht gelingen. Während sie sich in ihren Kummer zurückgezogen hatte, war das Leben draußen weitergelaufen, und sie war irgendwo auf der Strecke geblieben, so kam es ihr vor. Nun war alles zu schnell, zu laut, zu bunt.
    Scheinbar lief alles in gewohnten Bahnen, sie war drei Wochen, nachdem es passiert war, wieder ins Büro zurückgekehrt – im Grunde hatte sich ihr Leben jedoch komplett verändert. Sie lebte zurückgezogen in ihren vier Wänden, ging fast nie aus. An ein Date war nicht zu denken. Schon der Gedanke war ihr zuwider. Wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, hockte sie sich meist vor den Fernseher oder vertrieb sich die Zeit mit irgendeinem albernen Computerspiel. Zu mehr fehlte ihr die Kraft. Die Eltern drängten sie, Tel Aviv zu verlassen, sich für ein Studium einzuschreiben, etwas zu tun, das ihr Leben mit Inhalt füllen würde, dann käme sie vielleicht darüber hinweg. Vorerst hörte sie sich das nur an, ohne einen Kommentar abzugeben. Vielleicht hatten sie recht. Oder auch nicht. Woher sollte sie die Kraft nehmen, darüber zu entscheiden?
    Wie immer lief der Fernseher. Frühstücksfernsehen. Sie mochte es, dem belanglosen Geschwafel im Hintergrund zuzuhören, während sie Zähne putzte, sich anzog, sich ohne jeglichen Appetit ihr Frühstück hineinzwang. In der Sendung ging es um Nebensächliches, um die kleinen Annehmlichkeiten des Lebens, das munterte sie auf und half ihr ein wenig zu vergessen.
    Ein bekanntes Model, das wegen Schwangerschaft und Geburt ein Jahr pausiert hatte, erzählte den beiden Interviewern, wie es sich anfühlte, die Karriere nun als Mutter fortzusetzen. Sie musste Fotoshootings hin und wieder unterbrechen, um zu stillen. Zu ihrer vorherigen Figur hatte sie mühelos zurückgefunden. Den letzten Interviewteil zu ihrer Diät hätte Adi gern gehört, aber die beiden hatten das Model, das nach der Geburt ihres Kindes verstanden hatte, was im Leben wirklich zählte, unterbrochen, denn es war Zeit für die Nachrichten.
    Schon acht Uhr! Wieso hatte sie nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen war? Sie musste sofort los. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee und ging zur Küchenzeile, da hörte sie, wie der Nachrichtensprecher eine weitere Vergewaltigung im Norden von Tel Aviv meldete. Die Tasse fiel ihr aus der Hand und zersprang im Spülbecken.
    Binnen eines Moments wich sämtlicher Sauerstoff aus der Wohnung, gleich würde sie ersticken. Die brutale Vergewaltigung habe sich spät in der Nacht in der Strickerstraße in Tel Aviv ereignet, gab der Sprecher mit monotoner Stimme bekannt. Das Opfer sei ledig, Mitte zwanzig und der Täter spurlos verschwunden.
    Die Straße war ganz in der Nähe. Ihre Knie zitterten, sie sank auf einen Küchenstuhl. Obwohl sie an der Lautstärke des Fernsehers nichts verändert hatte, schien der Nachrichtensprecher zu schreien, ja regelrecht zu brüllen, als er berichtete, dass erst vor zwei Monaten ganz in der Nähe eine Vergewaltigung vorgefallen sei. Zwar sei der Täter gefasst worden, wegen juristischer Verwicklungen jedoch auf Bewährung freigekommen, nachdem er nur schwere Körperverletzung gestanden habe. Aus Polizeikreisen sei bekannt, so der Sprecher weiter, dass es sich höchstwahrscheinlich um denselben Täter handele, denn das Vorgehen lasse eine ähnliche Handschrift erkennen.
    Adi griff mit zitternden Händen nach der

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