Tag der Vergeltung
reagieren, wenn sie in ihr wahres Leben zurückkehren, dieses Paradies verlassen mussten?
Behutsam schälte sie sich aus dem Bett, um Gili und Ziv nicht aufzuwecken. Sie zog ihr Top und den Slip an, den Ziv ihr letzte Nacht ausgezogen hatte. Vater und Sohn lagen fast in der gleichen Position im Bett, es rührte sie, Tränen stiegen in ihr hoch. Plötzlich schien es das einzig Richtige zu sein.
Draußen war es kühl, aber dieses wunderbare Haus war beheizt, und sie spürte wohlige Wärme. Auf leisen Sohlen schlich sie in die Küche und machte den Wasserkocher an. Sie brauchte ein wenig Zeit für sich, musste nachdenken und verarbeiten, was in den letzten Tagen passiert war.
Vom Küchenfenster aus sah sie die überwältigende Wüstenlandschaft. Wie unglaublich still, wie schön es hier war, entrückt von dem, was sie hinter sich gelassen hatte, ging es ihr durch den Kopf, während sie auf die mächtigen roten Berge blickte, die von der Wintersonne angestrahlt wurden.
Sie dachte an die vergangene Nacht, wie seine Hand über ihren Bauch, ihre Brüste, ihre Brustwarzen gestrichen war, kleinere und größere Kreise gezogen hatte, so wie sie es mochte. Sie hatte gestöhnt vor Wonne und ihn an den Stellen gestreichelt, die ihn erregten. Es hatte nicht lang gedauert und er war in ihr gewesen, sein Körper hatte sich an ihrem gerieben und ihrer an seinem.
Sie goss gerade Kaffee auf, als sie Ziv aus dem Schlafzimmer kommen hörte. Seit der Scheidung war sie hin und wieder mit anderen Männern ausgegangen, doch sie waren alle am Morgen wieder verschwunden. Als Alleinerziehende war sie offenbar leichte Beute. Einer war verheiratet gewesen, ein zweiter litt noch unter der Trennung, ein dritter hatte keinerlei Verpflichtungen eingehen wollen, und sie hörte noch weitere solcher Ausreden, sodass die Verabredungen sie gekränkt und verbittert hatten. Vielleicht wäre es gut, hatte sie gestern kurz vor dem Einschlafen gedacht, wenn Ziv und sie hinter sich ließen, was geschehen war. Alles in allem war der Seitensprung eine einmalige Sache gewesen, zwei Menschen hatten kurzzeitig aus Leidenschaft, vielleicht auch aus Angst oder Einsamkeit zueinander gefunden.
Ziv schlang von hinten die Arme um sie, zog ihre Hüfte an sich, küsste sie am Hals. Einen langen Augenblick verharrten sie so, umarmten sich, blickten in die unendlich weite Landschaft. Wie wohltuend es sich anfühlte, abgesondert von der Welt zu sein.
»Ich könnte für immer hierbleiben«, flüsterte er und küsste sie wieder am Hals, Gänsehaut überkam sie. Sie streckte den Arm nach hinten und umfasste seinen Kopf.
»Morgen fahre ich zurück nach Tel Aviv und rede mit ihnen«, sagte er zu ihr.
»Meinst du, sie werden uns in Ruhe lassen?«, fragte sie.
»Die Tatsache, dass nichts passiert ist, spricht doch für sich, findest du nicht?«
»Ich weiß nicht … ich hoffe es«, sagte sie und versuchte ihre Sorge zu verbergen.
»Lass uns bis dahin genießen, was wir haben«, flüsterte er ihr ins Ohr, sie nickte und küsste ihn.
35
Eli Nachum hatte keine Möglichkeit herauszufinden, wo Ziv Nevo zurzeit steckte. Daher entschied er nachts um halb eins, als die ganze Familie sich schlafen gelegt hatte, zu dessen Wohnung zu fahren. Vielleicht würde er dort Hinweise auf seinen Aufenthaltsort finden.
Garantiert hatten Ohad und seine Leute die Wohnung auf den Kopf gestellt, doch Ohad war bekanntlich nicht sehr zuverlässig. Es war gut möglich, dass er selbst, der geordnet, systematisch vorging und Erfahrung hatte, auf etwas stoßen würde, das der Polizei entgangen war.
Er stand vor Nevos Wohnhaus und inspizierte es. Trotz der späten Stunde brannte in einigen Wohnungen noch Licht. Die Jalousien in Nevos Wohnung waren heruntergelassen, damit hatte er gerechnet. In der Wohnung schien es dunkel zu sein, zumindest von seinem Standort aus. Er knöpfte seinen Mantel zu und lief zügig Richtung Eingang, schaute sich nach allen Seiten um, um sich zu vergewissern, dass ihm keiner folgte. Wie sollte er sich verhalten, wenn er gleich anderen Polizisten über den Weg lief? Doch die Möglichkeit, dass sie Nevo in der Wohnung abpassten, schien ihm gering. Die Polizei verfügte nicht über die Mittel, Leute um diese Uhrzeit zu beschatten, erst recht nicht in einer Wohnung, die der Verdächtige offenbar verlassen hatte.
Er passierte den offenen Eingang und lief das Treppenhaus hinauf, wo ihm niemand begegnete. Er wollte so wenig Aufsehen wie möglich erregen, vielleicht waren die
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