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Tag und Nacht und auch im Sommer

Tag und Nacht und auch im Sommer

Titel: Tag und Nacht und auch im Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank McCourt
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Mühlen.
    Außerdem konnte ich mich bei dem Verhör wie ein Staatsanwalt fühlen, der mit einem Zeugen spielt. Wenn die Schüler sich amüsierten, gab das Pluspunkte für mich. Ich beherrschte die Bühne: Oberlehrer, Verhörexperte, Puppenspieler, Dirigent.
    James, was hast du gestern zu Abend gegessen?
    Er schaut überrascht auf. Wie bitte?
    Abendbrot, James. Was hast du gestern zum Abendbrot gegessen?
    Er tut so, als müßte er in seinem Gedächtnis kramen.
    James, das ist keine vierundzwanzig Stunden her.
    Ach ja. Huhn.
    Wo kam das her?
    Wie meinen Sie das?
    Hat jemand das Huhn gekauft, oder ist es euch zugeflogen?
    Meine Mutter.
    Also deine Mutter geht einkaufen bei euch?
    Ja, na ja, außer manchmal, wenn die Milch alle ist oder so, dann schickt sie meine Schwester. Meine Schwester meckert ständig deswegen.
    Arbeitet deine Mutter?
    Ja, sie ist Anwaltssekretärin.
    Wie alt ist deine Schwester?
    Vierzehn.

    Und du?
    Sechzehn.
    Also deine Mutter arbeitet und erledigt die Einkäufe, und deine Schwester ist zwei Jahre jünger als du und muß ab und zu mal in den Lebensmittelladen laufen. Du mußt nie einkaufen?
    Nein.
    Und wer macht das Huhn?
    Meine Mutter.
    Und was machst du, während deine Schwester mal schnell was einkaufen geht und deine Mutter sich in der Küche abschuftet?
    Na ja, also ich bin in meinem Zimmer.
    Und was machst du da?
    Hausaufgaben oder, äh, Musik hören.
    Und was macht dein Vater, während deine Mutter das Essen kocht?
    Der sitzt im Wohnzimmer und schaut Fernsehnachrichten. Er muß immer auf dem laufenden sein, weil er Börsenmakler ist.
    Wer hilft deiner Mutter in der Küche?
    Manchmal hilft ihr meine Schwester.
    Aber du nicht und dein Vater auch nicht?
    Wir können nicht kochen.
    Aber jemand muß auch den Tisch decken.
    Meine Schwester.
    Du hast noch nie den Tisch gedeckt?
    Doch, schon, als meine Schwester mit ihrem Blinddarm im Krankenhaus war, aber das war nix, weil ich nicht gewußt hab, wo die Sachen hingehören, und meine Mutter ist sauer geworden und hat mich aus der Küche geschickt.
    Schön. Wer stellt das Essen auf den Tisch?
    Mr. McCourt, wieso stellen Sie mir andauernd diese Fragen, wo Sie doch eh wissen, was ich sagen werde? Meine Mutter stellt das Essen auf den Tisch.
    Was gab’s gestern abend zum Huhn?

    Ja, also, Salat gab’s dazu.
    Und was noch?
    Wir haben gebackene Kartoffeln gegessen, ich und mein Vater. Meine Mutter und meine Schwester essen die nicht, weil sie Diät machen, und da sind Kartoffeln tödlich.
    Und wie war der Tisch gedeckt? Hattet ihr eine Tischdecke?
    Soll das ein Witz sein? Wir hatten Sets aus Stroh.
    Was ist beim Abendessen geschehen?
    Wie meinen Sie das?
    Habt ihr euch unterhalten? Hattet ihr Tafelmusik?
    Mein Vater hat weiter Fernsehen geschaut, und meine Mutter hat ihn angegiftet, daß er das Essen einfach runterschlingt, wo sie sich doch so viel Mühe damit gemacht hat.
    Aha, Konflikt beim Abendbrot. Habt ihr nicht alle zusammen die Ereignisse des Tages besprochen? Hast du nicht erzählt, wie’s in der Schule war?
    Nö. Mom hat dann abgeräumt, weil Dad sich wieder vor den Fernseher gehockt hat. Sie war sauer auf meine Schwester, weil die ihr Huhn nicht essen wollte. Sie hat gesagt, das macht dick, das Huhn. Mr. McCourt, was soll das denn? Warum stellen Sie mir diese Fragen? Das ist doch langweilig.
    Fragen wir doch mal die anderen. Was meint ihr? Wir lernen hier Kreatives Schreiben. Habt ihr irgend etwas über James und seine Familie erfahren? Seht ihr hier eine Geschichte? Jessica?
    Meiner Mom könnte man mit so einem Scheiß nicht kommen. James und sein Dad sind die großen Macker, die sich von vorn bis hinten bedienen lassen. Die Mutter und die Schwester machen alles, und die beiden hängen bloß rum und hocken sich an den gedeckten Tisch. Ich wüßte ja zu gern, wer bei denen saubermacht und abwäscht. Obwohl, ist eigentlich klar: die Mutter, die Schwester.
    Jede Menge Hände, alles Mädchen. Sie wollen James die Meinung sagen. Moment mal, meine Damen. Bevor ihr euch auf James einschießt, möchte ich von euch wissen, ob jede von euch
im Haushalt ein Ausbund an Tugend ist, stets hilfsbereit, stets aufmerksam. Also sagt mir eins, bevor wir weitermachen: Wer von euch hat gestern abend nach dem Essen seiner Mutter gedankt, ihr einen Kuß gegeben und ihr gesagt, wie gut sie gekocht hat? Ja, Sheila?
    Das wär doch Geschleime. Die Mütter wissen doch, daß wir ihnen dankbar sind.
    Eine Gegenstimme. Nein, wissen sie nicht. Wenn James sich bei seiner

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