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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Bar zurückzugehen, als sie wiederkam, schwer beladen mit Whiskeygläsern (mit drei: die Jungs hatten darauf bestanden) und einer dünnen, kleinen Flasche kalorienarmem
Tonic für mich. Ich füllte das Tonic in mein Glas und nippte daran.
    »Verdammt, ohne den Gin schmeckt es widerlich.« Meine Stimme klang so angestrengt, als hätte ich eben an einer Zitrone gesaugt.
    »Ich verstehe nicht, warum du nicht trinken und trotzdem fahren kannst.«Mary schüttelte den Kopf und presste die Lippen fest aufeinander. Wenn sie das tat, sah sie aus wie Mam.
    »Es ist gesetzeswidrig«, erklärte ich ihr nicht zum ersten Mal.
    »Zu meiner Zeit war es das nicht.« Sie reihte ihre Whiskeys in einer gewissen Anordnung vor sich auf, die nur sie selbst verstand. Ich ging nicht darauf ein, denn aus Erfahrung wusste ich, dass es sich hierbei um eine Diskussion handelte, die ich nicht gewinnen konnte, obwohl ich Logik und Recht und Ordnung auf meiner Seite hatte.
    »So«, sagte sie, enttäuscht darüber, dass ich so schnell aufgegeben hatte, »was gibt es über dich zu erzählen? Gehst du immer noch mit diesem Knaben, der so in sich selbst verliebt ist?« Man könnte vielleicht sagen, dass meine Großmutter kein Blatt vor den Mund nahm. Sie behauptete, dass, wenn man wie sie kurz vorm Abnippeln war, dafür schlichtweg keine Zeit blieb.
    »Ja«, sagte ich. Sie wartete darauf, dass ich das näher erläuterte. »Irgendwie«, schloss ich.
    »Irgendwie?« Ihr Gesicht hellte sich auf, und sie beugte sich näher zu mir. Ihren Drink hielt sie so fest in der Hand, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
    »Na ja, rein technisch gesehen sind wir noch zusammen. Und er kommt zu Clares Hochzeit. Aber mir reicht’s einfach, ehrlich gesagt.«
    »Wie meinst du das?«

    »Na ja, er hat einfach angekündigt, dass er kommt. Per E-Mail. Vergangene Nacht, also, eigentlich heute Morgen. Ich meine, ja, er war eingeladen und all das, aber seit Wochen hat er gesagt, dass er nicht kommen kann, weil er zu viel Arbeit hat. Ich hab irgendwann aufgehört, ihn zu fragen, und dann, plötzlich, macht er eine Kehrtwendung und kommt, ohne sich zu erkundigen, ob es mir noch immer recht ist oder … oder so.« Ich verstummte. Das war kein wirklich guter Grund. Ich holte Luft, und wieder ging es mit mir durch.
    »Und er hat in seiner Mail geschrieben, dass er am Samstagmorgen einfliegen und mich von der Wohnung abholen würde. Er ist so anmaßend. Und nicht nur in diesem Fall, sondern überhaupt. Ich meine, ich bin die Erste Brautjungfer. Ich werde am Samstagmorgen viel zu tun haben. Ich gedenke nicht in der Wohnung zu sein.« Ich steigerte mich in eine ziemliche Raserei hinein und trank geistesabwesend einen großen Zug aus einem von Marys Gläsern. Der Whiskey brannte mir in der Kehle, dass ich aufkeuchte. Mary klopfte mir auf den Rücken. Fest. Gott, war sie kräftig. Ich schob meinen Stuhl lautstark zurück, bis ich mich geradeso außerhalb ihrer Reichweite befand.
    »Ist gut, ist gut«, krächzte ich und hielt meine Hände schützend vor mich.
    »Tja, dass ist ein seltsamer Grund, um mit jemandem Schluss zu machen, aber ich bin in jedem Fall froh, dass du es machst.« Mary lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schmunzelte, als hätte sie gerade ohne die Hilfe von Sir Bob Geldof oder seinem getreuen Bono die Lösung gegen den Welthunger gefunden.
    »Aber ich mache nicht mit ihm Schluss.« In mir breitete sich Panik aus.

    »Machst du nicht?« Mary war nicht überzeugt.
    »Nein. Ich bin nur … es ist … wir machen im Augenblick einfach eine sonderbare Phase durch.«
    Mary musterte mich, als würde sie eine Landkarte studieren.
    »Das ist in Ordnung, Gracie-Mädchen. Lass diese sonderbare Phase nur nicht für den Rest deines Lebens andauern. Du musst mir nicht sagen, dass das Leben kurz ist. Schau mich an, ich weiß es.« Ihr Blick wanderte missbilligend ihren ganzen Körper hinunter. Die Metallschnallen auf ihren alles andere als omahaften Cowboystiefeln schimmerten stählern im Mondlicht.
    »Schau dir Patrick an«, fuhr sie fort. »Hätte er gewusst, dass er tot ist, bevor er zweiunddreißig ist, glaubst du wirklich, er hätte so viel Zeit verschwendet, wie er es getan hat? Hätte Rechnungswesen studiert? Anstatt zu schreiben? Und zu reisen? Solch eine Verschwendung.« Sie schüttelte den Kopf, als sie das sagte. Man hätte meinen können, Patrick hätte seine Jugend im Drogenrausch zugebracht, anstatt seinen Kopf in die Vermögensbilanzen des einen oder anderen

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