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Tag vor einem Jahr

Titel: Tag vor einem Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Geraghty
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Rudern.
    »Besessen, introvertiert, behaart.«
    »Na, was dann? «
    »Ich weiß nicht. Ein Zufallstreffen. Vielleicht in einer Buchhandlung. Ihr beide streckt die Hand nach demselben Buch aus. Eure Fingerspitzen berühren sich. Du entschuldigst dich. Er entschuldigt sich gleichzeitig. Du lachst. Er besteht darauf, dass du das Buch nimmst. Du bestehst darauf, dass er das Buch nimmt. So geht es weiter und weiter. Er fragt dich nach deiner Telefonnummer.«
    »Sieht er gut aus?«
    »Ja.«
    »Aber nicht so der Typ Bücherwurm?« (Sie meinte dicke Brillengläser und eine tiefe Falte zwischen den Augen, vom Lesen bei schlechtem Licht.)
    »Nein.«
    »Erzähl mir mehr von ihm.« Caroline ließ sich wieder auf dem Toilettensitz nieder und wartete.

    »Es stellt sich heraus, dass er Franzose ist. Aus Bordeaux. Er ist Dichter.«
    »Nein, an dieser Stelle muss ich dich unterbrechen«, warf Caroline ein. »Zu gefühlig.«
    »In Ordnung, dann eben ein Maler. Er ist Maler.« Caroline nickte zustimmend, das Zeichen für mich, fortzufahren.
    »Er kam nach Irland, weil ihn seine Inspiration verlassen hat.«
    »Warum, was ist mit ihm passiert?«
    »Mein Gott, Cats, das weiß ich nicht. Was tut das zur Sache?«
    »Denk dir was aus. Bitte!«
    »Okay, okay. Er ist … Er war …« Ich dachte angestrengt nach. »Ach, ich weiß. Er wurde enterbt.«
    »Nein, ich will, das er die Taschen voller Geld hat.«
    »Aber er hat die Taschen ja voller Geld. Mit all der Malerei und so. Habe ich erwähnt, dass er ein erfolgreicher Maler ist?«
    »Aber ich will seinen Familien-Clan in Bordeaux besuchen. Ich will nicht, dass er enterbt wurde.«
    »Egal.« Ich überging sie. »Wenn er dich sieht, in der Buchhandlung …«
    »Was habe ich an?«
    »Dazu wollte ich gerade kommen. Du trägst dein rotes Kleid.«
    »Das kurze mit dem Band unter der Brust?«
    »Ja, und zwar zusammen mit den passenden Keilabsatz-Pantoletten, die lassen deine Füße so zierlich aussehen«, sagte ich schnell, bevor sie fragen konnte. Caroline war, was ihre Füße betraf, etwas obsessiv. Sie waren lang und schmal, mit Zehen wie Finger. Schuhgröße 40 – gerade so. »Egal. Er sieht dich, ist durch und durch inspiriert, verbringt den Rest seines Lebens damit, dich zu malen, und
wird damit noch berühmter, als er sowieso schon ist. Dein Porträt ersetzt im Louvre die Mona Lisa, und du lebst in Frankreich auf einem Weingut, wo du in einer Hängematte liegst und sanft hin und her schaukelst, mit einem Weinglas in der Hand. Und sie lebten glücklich miteinander bis ans Ende ihrer Tage.«
    Sie lächelte. Für einen Augenblick glaubte sie daran. Dann kam sie zu sich.
    »Mir sollte bald etwas einfallen. Ich werde langsam alt und grau.«
    Ich setzte mich auf und drehte, für den unwahrscheinlichen Fall, dass noch heißes Wasser im Boiler war, den Warmwasserhahn auf. Dabei sang ich ohne ersichtlichen Grund »Who let the dogs out?«, mit lauten »Wuffs« am Ende jeder Liedzeile.
    »Dafür, dass du einen Kater hast, bist du gut in Form. Du hast doch einen, oder?«
    »Ja.« Ich dachte darüber nach und fand es seltsam – nicht das mit dem Kater, sondern das mit der guten Form.
    »Shane hat angerufen, nicht wahr?«
    »Ich habe, kurz bevor du gekommen bist, mit ihm telefoniert.« Es war ja nicht wirklich eine Lüge, aber ich war froh, dass der Duschvorhang zwischen uns war.
    »Wird uns unser Mann in London mit seinem baldigen Besuch beehren?«
    »Er wird morgen früh anrufen. Dann besprechen wir das.«
    Jetzt blieb mir nichts anderes übrig, als Shane zu fragen, wann er kommen würde. Obwohl er es hasste, festgenagelt zu werden. Immerhin hatte er sehr viel zu tun im Geschäft und überhaupt. Caroline sah das anders.
    »Er ist mein Bruder, und ich liebe ihn, aber er wird dich noch kaputtmachen.« Das hatte sie bereits mehr als einmal
gesagt. Ich versuchte, das Thema zu umgehen; falls es Caroline auffiel, ließ sie es sich nicht anmerken.
    Inzwischen reinigte sie sich mit Zahnseide die Zähne; ihre Hände bewegten sich vor und zurück. Sehen konnte ich sie nicht, aber hören. Ich stellte mir ihre Hände vor – wie sie wild hin und her sausten. Sie war heikel in Sachen Mundhygiene.
    »Wo warst du letzte Nacht?«, wollte sie wissen und hielt einen Moment inne. Mir war klar, dass sie ihr Werk inspizierte, mit gekräuselten Lippen und gebleckten Zähnen.
    Die Frage traf mich gänzlich unvorbereitet, daher spielte ich auf Zeit.
    »Was?« Ich setzte mich im Wasser auf und zog den Stöpsel heraus. Das

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