Tage des letzten Schnees: Ein Kimmo-Joentaa-Roman (German Edition)
ins Bad und suchte das Display seines Handys ab, aber er hatte weder einen Anruf noch eine SMS erhalten. Im Wohnzimmer versuchte Ville, Taina davon zu überzeugen, dass er heute bis Mitternacht aufbleiben müsse.
»Und warum, mein lieber Ville?«, fragte Taina.
»So. Einfach so«, sagte Ville, und Sedin dachte, dass auf die gleiche Weise Réka ihre Ideen begründete. Warum bist du traurig, warum glücklich? So, einfach so. Jetzt so, im nächsten Moment so. Egal warum. Er lächelte, und Taina fragte, warum er lächle.
»Hm? Ich weiß nicht.«
»Weil heute ein schöner Tag ist«, sagte Ville.
»Was?«, fragte Taina.
»Darum will ich aufbleiben. Weil heute ein schöner Tag ist.«
Taina lachte. »Das nenne ich einen guten Grund.«
»Ich gehe gar nicht mehr schlafen«, sagte Ville. »Schlafen ist doof.«
»Du gehst sehr wohl schlafen, mein Lieber, und zwar heute mal ganz besonders zeitig, so wie andere brave Kinder.«
Ville verzog das Gesicht, und Taina fuhr fort, lachend, an Sedin gewandt: »Gestern war es nämlich spät, und heute hat er den Mittagsschlaf verweigert.«
Ville stöhnte und sah offenbar seine Felle davonschwimmen, denn er verzichtete auf weitere Proteste und bat nur darum, dass Papa noch eine Geschichte lesen solle.
»Klar doch. Aber erst mal ab ins Bad und Schlafanzug an«, sagte Markus Sedin.
Ville lief ins Bad, und Sedin zuckte zusammen, als sein Handy klingelte. Er machte ein paar Schritte in den Flur und betrachtete die Nummer auf dem Display. Bergenheim.
»Das ist Bergenheim, der ist beim Essen mit den Japanern …«, murmelte Sedin und nahm das Gespräch an, während er in sein Arbeitszimmer ging.
»Hei, Mensch«, sagte Bergenheim und wirkte nicht ganz nüchtern.
»Äh … alles ok?«, fragte Sedin.
»Und ob, mein Freund. Du glaubst nicht, was ich hier gerade erlebe.«
»Aha?«, sagte Sedin.
»Japaner halt«, sagte Bergenheim. »Wollen natürlich gar kein Rentiersteak, sondern Spaß, du verstehst …«
»Äh …«
»Wir sind hier in diesem neuen Sauna-Club, in Salo, ein bisschen weit weg, aber hält, was er verspricht … das behältst du für dich, du verstehst … ist ja halbwegs illegal …«
»Ja … sicher …«
»Und du glaubst nicht, was ich hier gerade erlebt habe. Ich habe allen Ernstes die Discotussi gevögelt.«
Markus Sedin stand in seinem Arbeitszimmer, im Dunkel, draußen schneite es, und er fragte sich, was Bergenheim ihm sagen wollte.
»Äh … wen?«
»Die Discotussi. Du weißt schon, aus Ostende. Genau die. Die ist in Finnland.«
Sedin schwieg.
»Die arbeitet hier, in dem Schuppen, das ist sie, definitiv. Hat mich nicht erkannt und auch irgendwie nichts kapiert, als ich ihr mitzuteilen versuchte, dass wir uns kennen …«
»Aha«, sagte Sedin. Hinter seiner Stirn hatte ein Rauschen eingesetzt. Die Schafe, dachte er. Die Schafe hatten zu rennen begonnen.
»Ich frage mich ja, wie du mit der Konversation machen konntest, für meine Begriffe kann die nicht reden. Aber alles andere ist natürlich vom Feinsten … na ja, egal … das weißt du ja, hast die ja wohl eine ganze Nacht lang gehabt. Oder? Jedenfalls ist die hier, bei uns, im schönen Salo. Besuchbar und buchbar. Ich dachte, das würde dich freuen.«
Zu schnell, schnell rennende Schafe, schneller als Licht.
»Ja …«, sagte Sedin.
»Mit den Japanern ist alles bestens übrigens. Die kommen aus dem Lachen nicht mehr raus. Kannst dich ganz locker machen.«
»Ja«, sagte Sedin.
»Dann dir einen schönen Abend, und … Grüße an Taina …«
Sedin schwieg, und Bergenheim hatte die Verbindung unterbrochen. Er warf einen Blick auf das Display des Handys. Kurz nach sieben. Der Abend noch jung, dachte er vage.
»Papa?«
»Ja?«
»Du wolltest doch … die Geschichte lesen.«
»Ja, klar.« Er drehte sich um und sah Ville in der Tür stehen. Im hellblauen Schlafanzug, mit einem Buch in der Hand.
»Klar«, sagte er noch einmal.
Er folgte Ville, der zügig lief und sich in mit einem wohligen Lachen in sein Bett fallen ließ.
»Die ganze Geschichte«, sagte Ville.
»Natürlich«, sagte Sedin.
»Alles. Von Anfang bis Ende.«
Sedin nickte und begann zu lesen. Alles. Erst den Anfang, dann das Ende. Er verstand die Worte nicht, hörte seine eigene Stimme nicht mehr, aber am Ende sagte Ville, es sei eine schöne Geschichte gewesen.
»Das freut mich«, sagte er, und Ville schlief ein, während Sedins Gedanken wieder die Fährte der Schafe aufzunehmen versuchten, die weit enteilt waren.
28
Er blieb
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