Tage in Burma
angegangen werden. Angegangen wurde sie
natürlich, mit einer solchen Flut von anonymen Briefen, daß Hla Pe zwei ganze Tage nicht ins Büro kommen konnte (diesmal
war es Bronchitis), um sie zu schreiben. Der Doktor wurde jedes Verbrechens beschuldigt von Päderastie bis zum Diebstahl von Regierungspostmarken. Der Gefängniswärter, der Nga Shwe O
hatte entkommen lassen, wurde nun vor Gericht gebracht. Er wurde triumphierend freigesprochen, da U Po Kyin zweihundert Rupien für Zeugen ausgelegt hatte. Mr. Macgregor wurde mit weiteren Briefen überschüttet, mit detaillierten Beweisen, daß Dr. Veraswami, der eigentliche Urheber der Flucht, versucht hatte, die Schuld auf einen hilflosen Unterbeamten zu schieben.
Der Ertrag war gleichwohl enttäuschend. Macgregors
vertraulicher Brief über den Aufstand an den Kommissar wurde mit Dampf geöffnet, und sein Ton war so beunruhigend - der Doktor habe sich am Abend des Aufstandes »höchst ehrenhaft benommen« -, daß U Po Kyin einen Kriegsrat einberief.
»Die Zeit für einen energischen Schritt ist gekommen«, sagte er zu den anderen - sie hatten eine geheime Sitzung auf der Vorderveranda, vor dem Frühstück. Ma Kin war dabei und Ba Sein und Hla Pe - der letztere ein vielversprechender Junge von achtzehn Jahren mit keckem Gesicht und der Art eines Jungen,
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der es bestimmt zu etwas bringen wird.
»Wir hämmern gegen eine Steinmauer«, fuhr U Po Kyin fort,
»und diese Mauer ist Flory. Wer konnte voraussehen, daß dieser elende Feigling zu seinem Freund stehen würde? Aber es ist nun so. Solange Veraswami ihn hat, sind wir hilflos.«
»Ich habe mit dem Club-Butler gesprochen, Sir«, sagte Ba
Sein. »Wie er sagt, wollen Mr. Ellis und Mr. Westfield noch immer nicht, daß der Doktor in den Club gewählt wird. Glauben Sie nicht, daß sie wieder mit Flory streiten werden, sobald der Aufstand vergessen ist?«
»Natürlich werden sie streiten, sie streiten immer. Aber in der Zwischenzeit ist der Schaden geschehen. Stellt euch nur vor, dieser Mann würde gewählt! Ich glaube, ich würde vor Wut sterben, wenn das passierte! Nein, es gibt nur noch eine
Möglichkeit. Wir müssen Flory selbst treffen!«
»Flory, Sir! Aber er ist ein weißer Mann!«
»Was kümmert mich das? Ich habe schon vorher weiße
Männer erledigt. Wenn er einmal in Ungnade fällt, ist es aus mit dem Doktor. Und er wird in Ungnade fallen! Ich werde ihm
solche Schande machen, daß er nie wieder wagt, sein Gesicht in diesem Club zu zeigen!«
»Aber Sir! Ein Weißer! Wessen sollen wir ihn beschuldigen?
Wer würde etwas gegen einen weißen Mann glauben?«
»Du verstehst nichts von Strategie, Ko Ba Sein. Man
beschuldigt einen weißen Mann nicht, man muß ihn erwischen, öffentliche Schande, in flagrante delicto. Ich werde auf etwas kommen. Nun seid still, damit ich denken kann.«
Eine Pause trat ein. U Po Kyin stand und starrte in den Regen hinaus, die kleinen Hände auf dem Rücken gefaltet, auf dem natürlichen Plateau seines Hinterteils ruhend. Die anderen drei beobachteten ihn vom Ende der Veranda aus, fast erschrocken über dieses Gerede vom Angriff auf einen Weißen; sie warteten auf ein Glanzstück, das eine Situation außerhalb ihrer
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Reichweite meistern würde. Es war ein bißchen wie das
bekannte Bild (ist es von Meissonier?) von Napoleon in
Moskau, der über seinen Landkarten brütet, während seine
Marschälle, den Dreispitz in der Hand, schweigend warten. Aber natürlich war U Po Kyin der Situation besser gewachsen als Napoleon. Sein Plan war binnen zwei Minuten gereift. Als er sich umdrehte, war sein breites Gesicht von höchster Freude übergossen. Der Doktor hatte sich geirrt, als er beschrieb, U Po Kyin hätte zu tanzen versucht; U Po Kyins Gestalt war nicht zum Tanzen bestimmt; aber wäre sie dafür bestimmt, so hätte er in diesem Augenblick getanzt. Er winkte Ba Sein und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Ist das nicht der richtige Schritt?« schloß er.
Ein breites, widerwilliges, ungläubiges Grinsen stahl sich langsam über Ba Seins Gesicht.
»Fünfzig Rupien dürften alle Ausgaben decken«, setzte U Po Kyin strahlend hinzu.
Der Plan wurde im einzelnen enthüllt. Und als die anderen ihn begriffen hatten, brachen alle, sogar Ba Sein, der selten lachte, sogar Ma Kin, die den Plan aus tiefstem Herzen mißbilligte, in ununterdrückbares Gelächter aus. Der Plan war wirklich
unwiderstehlich gut. Er war genial.
Derweil regnete es unaufhörlich. Am Tag nach dem Flory
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