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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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man ist nicht mehr sicher, daß man die moralische Großmacht ist wie in Nürnberg. Es sind Dinge geschehen und geschehen täglich weiter, die man bisher nur andern zugetraut hat. WHAT WE ARE DOING IN INDOCHINA , sagen Leute, die mit Kriegsverbrechen auch nicht auf Umwegen zu tun haben; sie vor allem sind verändert, so scheint mir, bis inden Alltag hinein. Sie wundern sich, daß wir freiwillig in diesem Land sind. Ein schreckliches Land, so nennt es mehr als einer, wenn auch sofort mit dem Nachsatz: Dabei wären wir das reichste Land der Welt. Bauarbeiter schlagen einen Umzug von Blumenkindern zusammen; auch das kann den Amerikanischen Traum nicht wiederherstellen. Was es vor zwanzig Jahren nicht gegeben hat: Skepsis, daß Amerika auf dem rechten Weg ist. Nur in der Reklame und in den offiziellen Reden, die ja auch Reklame sind, findet sich jener Ton zuversichtlicher Selbstgerechtigkeit, nicht mehr im privaten Gespräch. Amerika hat Angst. Die Macht-Inhaber unterstellen: Angst vor Rußland, Angst vor China, also Angst, die ihre Strategie rechtfertigt und die Kosten dieser Strategie. In den kleinen Bars oder in den Ateliers oder unter Wissenschaftlern oder in einem öffentlichen Park oder wo immer man ins Gespräch kommt, das sie selber anfangen, tönt es anders: Amerika hat Angst vor Amerika … Ich meine im Ernst, es habe sich zum Guten verändert, verglichen auch mit 1956, als ich zum zweitenmal dieses große Land durchreist habe; eine System-Kritik habe ich zwar nie gehört, auch nicht bei Leuten, die gegenüber Präsident und Administration in offenem Protest stehen; aber die Angst vor sich selbst macht sie als einzelne humaner.
     
     
    Unterwegs
     
    Mundart zu sprechen ist bequemer. Fühle ich mich dabei wohler? Nach einem Gespräch in der Schriftsprache erinnere ich mich genauer, wie ich formuliert habe; im allgemeinen sprechen wir die Mundart unbewußter, fühlen uns sicherer und unverkrampft. Sind wir das? Schweizerdeutsch ist (was man Ausländern immer wieder erklären darf) kein Slang, kein Kauderwelsch, sondern eine intakte Sprache, wenn auch ungeschrieben, unsere Muttersprache in allen gesellschaftlichen Schichten. Ihre Syntax ist bescheiden, eine Mundsprache eben; es kommt kaum zu komplexen Sätzen. Sie eignet sich vor allem zum Erzählen. Wieviel haben wir uns zu erzählen? Im Grunde sind wir uns alle ziemlich verleidet, wenn wir unter uns sind, familiär durch Mundart von vornherein. Es wird fast immer Stammtisch, Kumpanei durch Mundart; ob Widerspruch oder Einverständnis, jedenfalls kommunizieren wir durch Hemdärmligkeit, womit keiner ganz identisch ist – wir haben uns nur daran gewöhnt wie an eine Rolle … Auch Landsleute, die beruflich auf Schriftsprache angewiesen sind und ihr Wissen aus der Schrift beziehen, sie sind geniert, wenn sie sich der Schriftsprache bedienen sollen in Gegenwart eines Landsmannes, und verfallen sofort wieder in unsere Mundart, obschon Höflichkeit gegenüber Fremden es eigentlich verbietet; wir kennen uns eben mundartlich. Hören wir einander in der Schriftsprache, so stimmt etwas nicht; jeder tut, als wäre er in der Mundart er selbst, nur in der Mundart, obschon sich seine Gedanken in der Schriftsprache genauer ausdrücken lassen. Die Mundart hingegen betont, wie echt man ist. Wieso ist das nötig? Ich setze mich in einen französischen Speisewagen; der Herr gegenüber fällt in keiner Weise auf, bis er mich als Landsmann erkannt hat, also Mundart spricht und echt wird: anders als zuvor, bodenständig, sofort stimmt unser Ton für beide nicht …
     
     
    BERZONA
     
    Begegnung mit einem Kollegen aus der DDR, den ich seit 1945 nicht mehr gesehen habe. Warum wird es, auch bei Freundlichkeit von beiden Seiten, ein Eiertanz? Sie sind geschult, wissen, was sie keinesfalls sagen werden, und geben sich dennoch sehr offen. Das Kind, das mit einer Eisenbahn spielt, erkennt schon an den Häusern, daß Faschisten drin wohnen. Wir sprechen über anderes. Stolz der Eltern aufihre antiautoritäre Erziehung. Plötzlich sagt das Kind, das den Vater mit seinem Vornamen anspricht, und es ist rührend: Ich kann nicht mehr! Es ist müde und will nach Hause. Einverständnis des Vaters: In fünf Minuten. Er will noch zu Ende erzählen, sagt es mit zärtlichem Entgegenkommen: In zwei Minuten. Das Kind will sofort, nicht in zwei Minuten, sondern jetzt; es sagt: Sonst lasse ich dich verhaften! Man lacht. Kindermund.

Notizen zu einem Handbuch für Mitglieder
    Der Aberglaube, daß hohes

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