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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Alter sogar ein Gewinn sein könne (»geistig«), beruft sich mit Vorliebe auf Künstler, Schriftsteller, Philosophen usw., allerdings immer nur auf die berühmten. Die Präsenz oder gar Virulenz ihres Werkes im öffentlichen Bewußtsein verführt uns dazu, die Person zu verwechseln mit ihrem Ruhm, der langsamer altert.
     
    Angst des Künstlers vor dem Alter: daß er nicht mehr kreativ sein wird; und einen Beruf, eine Existenz, wo dies keine Rolle spielt, hat er meistens nicht gelernt.
     
    Exposition eines Lebenswerkes in drei Sälen … Wir gehen rascher von Bild zu Bild, je älter der Maler wird; sein Können nimmt überhand, unsere Neugierde läßt nach, auch wenn wir's nicht zugeben, wir loben nur immer rascher. Dies schon im zweiten Saal. Hier versucht er uns zu überraschen, und es gelingt ihm auch beinahe; nur hat man den Eindruck, daß er selbst kaum noch überrascht ist. Als wir durch den letzten Saal gehen, steht der Maler persönlich da; wir sind in der Tat überrascht: daß er noch lebt. Kein Greis. Er unterhält sich munter.Schon der Vor-Gezeichnete kann sich darauf ertappen, daß ihm sein Gelingen verleidet ist; er weiß jetzt bei der Arbeit immer rascher, was nicht gelingen kann, und verirrt sich kürzer. Insofern arbeitet er effektiver (Epoche der raschen Produktivität). Aber früher, im Anfang, fühlte er sich freier; im Mißlingen war mehr Hoffnung.
     
    Es gibt Alterswerke, die mehr sind als nur eine Verlängerung in die Perfektion (Matisse). Sie sind selten.
     
    Wie seine Nächsten mit Igor Strawinsky umgehen, habe ich nur von andern gehört, die zugegen waren: es tönt unglaublich, und doch glaubt man es sofort. Ruhm schützt die Person nur auf Distanz.
     
    Es gibt berühmte Greise, die alles, was ihnen früher gelungen ist, als sinnlos bezeichnen (Ezra Pound); es gibt andere, die vor sich selbst kapitulieren wie vor einem Klassiker; das letztere Verhalten ist auch schon bei Vor-Gezeichneten zu finden.
     
    Der Vor-Gezeichnete erklärt sich seine Kunst-Krisen gerne damit, daß er mit den Jahren und auch mit dem Erfolg selbstkritischer geworden sei. Das stimmt nicht unbedingt; der Trieb irgend etwas zu erzeugen, ist schwächer geworden als sein kritischer Verstand, der sich gleichgeblieben ist und erst beim Gezeichneten ebenfalls abnimmt.
     
    Das Bedürfnis zu lehren, Schüler zu haben, ein Institut zu leiten, Preisrichter zu werden usw. kann nicht unbedingt als Symptom der Senilität gewertet werden.
     
    Ein Gezeichneter, der uns sein Atelier zeigt und nicht merkt, daß er alles, was er mit Begeisterung vorhat, schon vor Jahrzehntengemacht hat; er vibriert vor Kopier-Sucht, die er für Schaffensdrang hält, er fühlt sich gar nicht alt, überhaupt nicht, im Gegenteil; er führt uns unentwegt sein Temperament vor, seine Vitalität, seine Freßlust usw.
     
    Der Gezeichnete erkennt sich an Ruhmsüchtigkeit, die sich von seinem früheren Ehrgeiz unterscheidet: sie ist empfindlicher als Ehrgeiz, der noch mit unserer Erwartung rechnen darf.
     
    Dilettanten altern unauffälliger.
     
    Der Gezeichnete entdeckt zum Beispiel, daß er, auch wenn er lang in einer Wirtschaft sitzt, nichts mehr mit den Bierdeckeln anzufangen versucht, er türmt keine Pagode aus Bierdeckeln, die dann zusammenfällt; es lockt ihn nicht einmal, die Bierdeckel in den See hinaus fliegen zu lassen. Bierdeckel, See, es fällt ihm nichts dazu ein, was ihn lockt, und so bricht er Brot und füttert Schwäne, weil er annimmt, das locke die Schwäne. Würde man seinen Gang durch die Stadt mit einer Kreide nachzeichnen, so verliefe diese Kreide-Spur anders als früher: weniger Zickzack, der durch Verlockungen entsteht. Sogar einen Unfall (Scherben auf dem Pflaster, Polizei, Menschen, die sich drängeln, um zu gaffen) kann er beiseite lassen wie die Schaufenster. Der Gezeichnete braucht nicht müde zu sein; auch sieht er nicht wie ein Greis aus, nur drängt es ihn immer weniger, Hand anzulegen, wo keine Notwendigkeit besteht. Zum Beispiel kann er ein Calder-Mobile sehen, ohne es anzublasen oder mit seinem Finger in Bewegung zu bringen. Dabei gefällt es ihm, wenn jemand das tut. Er kennt das. Auch wenn er etwas nicht kennt, wenn er in einer fremden Wohnung einen sonderbaren Gegenstand sieht, ein Material, das er zum ersten Mal sieht, benimmt er sich wie in einem Museum: ne touchez pas les objets. Man muß es ihm in die Händegeben, damit sie es fühlen. Fühlen sie es? Der Gezeichnete wundert sich: er hat ein Stück Draht in der

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