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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Ihrer fünf in Windjacken, Pullovern, Blusen usw., viel Haar. Nur jetzt nicht fragen: Was wünscht Ihr? Es sind aber, unter der Lampe besehen, keine Guerillas, sondern Basler Schüler, die sich mehr oder weniger unbefangen ausbreiten, ohne Floskeln; Chianti bringen sie mit, Käse ist auch noch auf dem Tisch, aber sie haben schon gegessen. Pause. Ihre Namen? Es sind Bürgersöhne, deren Eltern, wie zu vermuten ist, kein Verständnis haben, hingegen Häuser, eins in Basel, eins im Tessin. Sie sind dieser Tatsache gegenüber frei. Der Ältere, der soviel Haar hat wie die andern zusammen, kein fallendes oder lockiges Haar, sondern das schwarze Kruselhaar eines Abessiniers, Brillenträger, lernt Kontrabaß am Konservatorium. In einem Sinfonie-Orchester unterzugehen auf Lebenszeit hat er nicht vor, Musik ist Provokation. Ich entkorke und verstehe.MOTHERS OF INVENTION, ich darf erwähnen, daß wir sie neulich gesehen und gehört haben. Kommerzialisierung der Provokation, HAIR usw., auch das hat er nicht vor. Aber was kannst du machen, wenn das Plattengeschäft sich auf deine Musik wirft? fragt ihn der jüngere Bruder, der Vierzehnjährige. Es ist einfacher als erwartet; ich bin hier zu Hause, aber von Meinungen dispensiert. Der Abessinier wird immer progressiv bleiben. Ein anderer gedenkt Lehrer zu werden, ist aber noch nicht sicher, hat auch noch drei Jahre bis zur Matur. Da alles, ausgenommen Provokation, überhaupt keinen Sinn hat, wozu ein Beruf? Ihre Diskussion wird immer lebhafter, offensichtlich störe ich nicht, nur der Vierzehnjährige schweigt und kratzt in seiner schwarzen Pfeife herum, die er dann wieder im Mund hält wie ein Alter, nur zieht sie schon wieder nicht. Ich habe Streichhölzer. Sagt meine Frau etwas, so sprechen sie wieder Hochdeutsch, was nicht nötig wäre; es erinnert sie an die Schule. Kafka zum Beispiel, sagt der mittlere Bruder, könne er einfach nicht lesen. Er ist siebzehn, der Witzigste am Tisch. Schon der Abessinier, der sich auf Kontrabaß versteift hat, scheint sie zu langweilen; vielleicht trägt er deswegen sein Haar, das mich nicht stört, nur steht's ihm nicht. Einmal erwähnt er sein Haar: was man deswegen von Lehrern oder auf der Straße zu hören bekomme. Was sie erwartet haben, als sie an der Türe klingelten, weiß ich nicht, die Frage stellt sich nicht. Sie sitzen da und sind die Gegenwart. Was sie denken, geht sie an. Politik? Was auch nicht mehr interessant ist: Marxismus, d.h. daß alle Leute gleichviel verdienen. Solcher Unsinn unterläuft, aber ich darf korrigieren. Was hingegen interessiert: Zappa und andere,die ich weniger kenne, ihre Musik, vor allem die Person, die hinter solchen Platten steht, ihre Lebensweise als Vorbild: Exzeß mit frühem Tod. Der Vierzehnjährige muß austreten, es ist ihm übel, wie ich vermute, von der Pfeife, aber er besteht darauf, daß er nur den Wein (zwei Glas) nicht verträgt. Nachdem er gekotzt hat, bette ich ihn draußen in die Nachtluft; Gesicht von einem älteren Gelehrten, aber mit Kinderhaut. Je länger der Abend an dem schmalen Tisch dauert, um so weniger störe ich; mein Beitrag: Käse und Zuhören, einmal die Frage, wie sie es mit Haschisch halten. Sie diskutieren ganz unter sich. Haschisch als der Bezirk, wo ihnen kein Opa kommt mit Erfahrung, und plötzlich gilt sie denn doch, die Erfahrung. Dabei wollen sie mich nicht belehren; wozu auch. Ihre füllenhafte Intelligenz; das eben entdeckte Denken, das dem Denken (ohne Machen) alles zutraut. Unter sich sind sie offen für jedes Argument; es geht nur um Argumente, nicht um die heimliche Rechtfertigung schon begangener Irrtümer. Ihr Eifer bleibt heiter. Die Irrtümer, leicht zu erkennen, sind Irrtümer der Vorfahren. Ihr Verdacht, daß ein Alter, wenn er denkt, im Grunde immer irgend etwas verteidigt, d.h. er ist nicht frei für Argumente. Ironie befremdet sie. Das ist die andere Art belasteten Denkens, eine schlaue Übereinkunft unter Verbrauchten, oft ganz und gar unverständlich; der Jugendliche spürt nur, daß da ein Hund begraben ist, der ihn nichts angeht. Dann reagiert er mit Ernsthaftigkeit. Der Vierzehnjährige (er hat unterdessen in der Küche aufgewaschen) entpuppt sich jetzt als Drogen-Experte, hat ungefähr alles darüber gelesen, kennt Statistiken auswendig. Und warum brauchst du Hasch? Einer macht den Einwand:Flucht in eine parasitäre Existenz. Der Witzige, jetzt durchaus ernsthaft, tritt dafür ein: lieber kurz und schön, das Recht eines jeden, sich kaputt zu

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