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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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einträglicher, Renovationen bringen wenig, Tarife für Fenster sind einfach zu niedrig, dagegen mit Hartlack kommt er auf seine Rechnung, schließlich hat er auch eine Familie, Nachtarbeit ist einträglich. Meine Frage nebenbei: Verdrießt es Sie nicht, wenn Farben gegen Ihren persönlichen Geschmack verlangt werden? Natürlich arbeitet er, um sein Leben zu verdienen, das verstehe ich; trotzdem meine Frage: HättenSie nicht manchmal Lust, eine andere Farbe zu wählen? Man legt doch Muster an und kann verdutzt sein, wenn dann das ganze Treppenhaus gestrichen ist; ich meine: Sind Sie gespannt, wie es zum Schluß aussieht? Er weiß nicht, was ich mit dieser Fragerei eigentlich will; sein Einkommen hat er mir gesagt. Hätten Sie manchmal Lust auf einen andern Beruf? Das ist klar: wenn eine Arbeit sich nicht auszahlt, weil die Tarife teilweise einfach zu niedrig sind, ausgenommen bei Hartlack, der seine Spezialität ist, kann sich das Einkommen verringern. Also Hartlack macht Lust? Das kann er nicht sagen; Hartlack ist ein Verfahren, das nicht alle können, daher sind die Tarife etwas günstiger … Zum Schluß (eigentlich müßte er gehen, damit seine Arbeiter nicht lungern, aber ich bestelle gerade noch zwei Bier) frage ich, ob er glaube, daß die Arbeiter weniger lungern würden, wenn es ihr eigner Laden wäre, d.h. wenn sie am Gewinn und an seinen verständlichen Sorgen beteiligt wären, d.h. ob er glaube, daß ein sozialisierter Betrieb auch funktionieren könnte, und wenn nicht, warum nicht. Was das wäre, fragt er, ein sozialisierter Betrieb? Kurze Erklärung, die ihm vor allem zeigt, daß ich von Flachmalerei nichts verstehe: einer muß doch die Aufträge beschaffen, einer muß doch die Buchhaltung führen, und davon verstehen die Arbeiter überhaupt nichts, es kümmert sie gar nicht, einer muß doch die Termine halten, damit man nicht die Kunden verliert, und darauf achten, daß trotzdem nicht gepfuscht wird, denn sobald der Unternehmer nicht aufpaßt, wird ja gepfuscht. So ist das eben. Und deswegen muß er jetzt gehen, ohne die Hand zu geben, unlustig –

Skizze
    Es gibt nichts zu sagen … Aber nicht einmal das sagt er. Seine Frau unternimmt alles, um ihn zum Reden zu bringen, neuerdings auch Streit, bis sie weint: weil er nicht widerspricht. Er am Fenster, Hände in den Hosentaschen, als überlege er eine Antwort. Stumm. Wenn er sich endlich umdreht, fragt er, ob der Hund schon gefüttert sei.
     
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    Es wird schlimmer von Jahr zu Jahr.
     
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    Gäste, alle reden, es fällt nicht auf, daß er, als Gastgeber stets beschäftigt, nicht redet. Meistens finden die Gäste: Ein netter Abend. Nur seine Frau ist betrübt: nachher sagt sie: »Früher hattest du noch Meinungen.« Was er nicht bestreitet. »Hast du denn nichts zu sagen?« Natürlich kann er, wenn er sich zwingt, irgend etwas sagen; nur kommt es ihm vor, als habe er schon alles einmal gesagt; es interessiert bestenfalls noch die andern.
     
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    Er ist Mitte vierzig, also nicht alt.
     
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    Zuerst bezieht seine Frau es auf ihre Ehe. Das gibt es ja, Paare, die einander einfach nichts mehr zu sagen haben. Sie geht auf Reisen usw., damit es wieder besser werde in ihrer Ehe.Am Bahnhof oder am Flughafen, wenn sie nach drei oder vier Wochen zurückkommt, steht er und winkt, nimmt ihr sofort die Taschen ab, küßt sie – aber es gibt nichts zu sagen.
     
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    Wörter, die er nie ausspricht – er weiß, was sie heißen, wenn er sie von den Leuten hört; wenn er sie selber ausspricht, heißen sie nichts, dieselben Wörter.
     
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    Dabei ist er Rechtsanwalt, Leiter einer Treuhand-Gesellschaft, Vorsitzender des Hauseigentümer-Verbandes. Es gibt viel zu tun, viel Langweiliges, aber nicht einmal darüber klagt er. Es gibt viele Leute, die er täglich trifft, Geschichten aller Art. »Warum erzählst du nichts?« Dann schaltet er das Fernsehen an. »Du mit deinem Fußball!«
     
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    Als Kind im Zoo meinte er einmal, die Fische können nicht sprechen, weil sie unter Wasser sind; sonst möchten sie schon –
     
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    Leute mögen ihn. Seine stille Art. Es gibt immer genug andere, die etwas zu sagen haben; meistens genügt es, daß man zuhört. Als Gast gehört er zu der Sorte, die sitzen bleibt, die nicht merkt, daß es jetzt Zeit wäre, und in aller Stille einfach sitzen bleibt … Wenn er allein ist, fällt ihm auch nichts ein.
     
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    Wenn sie sagt: »Du mußt doch etwas denken!«, steht er auf,

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