Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
als habe man ein Gespräch zu Ende geführt, geht hinaus und füttert den Hund, der nur wedelt und frißt, der ihn nicht zum Reden bringen will.
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Kunden wissen es zu schätzen, daß er nicht sagt, was er denkt; es genügt ihnen, daß er ihre Interessen wahrnimmt.
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Sein Hobby: Schach. Kein Partner käme auf die Idee zu fragen: Was denken Sie jetzt? Es genügt, daß er nach einer Weile seinen nächsten Zug macht, stumm wie die Figuren. Seine Geduld, wenn der andere jetzt überlegt, seine Gelassenheit usw., er fühlt sich nicht bedrängt, wenn der andere plötzlich sagt: Schach! Darauf gibt es nichts zu sagen. Er ist dankbar für jede Partie, auch wenn er nach zwei Stunden verliert; Stunden ohne Konversation.
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Im Auto stellt er sofort das Radio an.
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Meinungen über Nasser und Israel, über Herzverpflanzung, über Ulbricht, über Franz Josef Strauß, über Saridon, über den SPIEGEL , über Frauenstimmrecht in der Schweiz, über gemeinsame Bekannte, über die Verjährung von Kriegsverbrechen – jedermann hat Meinungen, es geht nicht ohne; dahersagt seine Frau: »Heiner ist auch dieser Meinung!«, während er die Flasche entkorkt.
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Der Hund wird immer wichtiger. Er wandert stundenlang mit dem Hund. Seine Frau erträgt es nicht, stundenlang neben oder vor oder hinter einem Mann zu gehen, der sich Mühe geben muß, um einmal zu sagen: Ein Hase! Und wenn sie ihrerseits redet, hört er zu, bis er antworten muß; dann bleibt er plötzlich stehen: Natur-Erlebnis als Ausrede . . . Wenn er mit dem Hund allein geht, merkt er's nicht, daß er stundenlang nicht sagt, was er denkt, und wenn er nichts denkt, merkt es der Hund nicht.
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Was er schätzt: Filme. Spricht man aber von Filmen, die ganz verschiedene Meinungen auslösen, so versäumt er sie regelmäßig. Er bevorzugt Western.
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Nur Personen, die ihn nicht kennen, stellen noch die übliche Frage: Was meinen denn Sie? Dann sagt er irgend etwas, er könnte auch das Gegenteil sagen, dann ist er verwirrt – wie einst in der Schule, wenn der Lehrer sagte: Sehr richtig!
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Wenn er getrunken hat, dann ja – dann redet er, ohne sich zu fragen, ob er etwas zu sagen hat. Am andern Tag erinnerter sich nicht, und das peinigt ihn; er weiß nicht, was er von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens hätte reden können.
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Seine Tochter hat jetzt auch gemerkt, daß er nichts zu sagen hat. Er ist nur väterlich. Manches weiß er, wenn sie ihn fragt, aber es fällt ihm nichts dazu ein, er weiß nur, was Idiosynkrasie heißt (laut Lexikon), und dann tut er wieder, als sei er beschäftigt. Er schiebt den Rasenmäher. Wenn die Tochter sich zu Hause langweilt, überlegt er sich, was sie bekümmern könnte; er erkundigt sich. Er erlaubt ihr fast alles. Er liest Mao, um sie zu verstehen – dann spielt er Ping-Pong mit ihr.
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Der Arzt hat ihm das Rauchen verboten. Er kann's nicht lassen, nicht unter Leuten, die darauf warten, daß er etwas sage.
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Einmal liegt er im Spital. Operation. Er genießt diese drei Wochen; er braucht nur zu sagen, daß er fast keine Schmerzen mehr hat, während der Besucher berichtet vom Wetter draußen, von der Hitze in der Stadt, von einer Ehescheidung im Bekanntenkreis usw.
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Eines Tages geht's auch mit dem Hund nicht mehr. Der Hund läuft nicht, wenn er einen Tannzapfen wirft. Der Hund kommt nicht, wenn er ruft. Der Hund unterhält sich allein.
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Einmal, anläßlich einer öffentlichen Einweihung, muß er im Namen des Verwaltungsrates sprechen. Das macht er ausgezeichnet, nicht ohne Humor zu zwei Kameras. Als er sich im Fernsehen sieht, findet er selbst, daß er es ausgezeichnet macht. So geht's ohne weiteres: wenn er nicht sagen soll, was er denkt.
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Wenn er allein zu Hause ist, kommt es vor, daß er sich plötzlich zwei Spiegeleier brät, obschon er keinen Hunger hat. Sobald man nichts tut, droht die Gefahr, daß man irgend etwas meint.
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Früher hatte er noch Meinungen, das stimmt. Er erinnert sich. Zum Beispiel war er (mehr als Doris) der Meinung, sie sollten heiraten. Heute hat er auch dazu keine Meinung mehr.
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Manchmal im Traum hat er etwas zu sagen, aber dann erwacht er daran, daß er es hat sagen wollen –
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Es hat nichts mit Doris zu tun.
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Daß Leute, kaum sind sie zusammen in einem Zimmer, sofort wissen,
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