Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
Spielen sie gegen einander, vereint mit einem andern Partner, so wird es leichter, lustiger. Sie sagt zum fremden Partner: Wir gewinnen! Er sagt zu seiner fremden Partnerin: Fabelhaft! oder wenn es daneben gegangen ist: Das war der Boden. Aber sie reden auch als Mann und Frau zueinander, jetzt von Partei zu Partei; er sagt: Gib's auf, Helene, da ist nichts mehr zu machen. Alles im vergnüglichen Ton. Sie sagt zu ihrem fremden Partner: Hauen Sie ihn einfach weg! und schon ist es geschehen, aber es kränkt niemand, es ist ein Spiel. Sie necken sich nur. Sie sagt: Siehst du! oder siesagt jetzt gar nichts, ihre Kugel liegt genau, wo sie liegen sollte; er fragt: Hast du geworfen? Natürlich hat sie diese Kugel geworfen; er fragt ja nur. Ihr fremder Partner macht ihr Mut, wenn er ihr die Kugel reicht (schon das tut ihr Mann nicht): Und jetzt machen Sie noch einen Punkt! Ihr Mann sagt: So ein Glück! Es geht wirklich nicht ums Gewinnen. Sie sagt allgemein: Leo kann es nicht vertragen, wenn er verliert. Darauf geht er nicht ein, sondern sagt zu seiner fremden Partnerin: Ihr Mann ist unschlagbar. Zwischenhinein läßt sich auch über Kinder sprechen, über die Straßenverhältnisse, über das Zürcher Schauspielhaus usw., schon nicht über Hochschulfragen; er sagt oder sie sagt: Spiel jetzt! … Also eine Partei hat tatsächlich gewonnen, was sogleich unwichtig ist, ein schöner Abend, dann wieder Gespräch; später einmal gehen sie, wie sie gekommen sind: ein glückliches Paar, eine gute Ehe.
Verhör II
A.
Du hast die Tagesschau gesehen.
B.
Die brennenden Autos, die Phalanx der Studenten, der Rauch über dem Boulevard usw., natürlich sind es Bilder, die mich aufregen, aber ich gestehe, daß sie mich nicht erschrecken.
A.
– als Fernseher in der Stube.
B.
Ich bin nicht am Ort gewesen, das ist richtig, aber wenn ich Bilder von den ordentlichen Kriegsschauplätzen sehe, so bin ich trotzdem erschreckt: als Fernseher in der Stube.
A.
Wie erklärst du den Unterschied?
B.
Was zurzeit in Paris geschieht, ist Unordnung und Unruhe,Gewalttätigkeit in einer Revolte. Die Bilder von den Kriegsschauplätzen, ob aus Vietnam oder Nah-Ost, haben dagegen etwas Übliches. A la guerre comme à la guerre. Bomben-Ruinen, da und dort Leichen, Gefangene im Verhör mit gefesselten Armen und barfuß zwischen Uniformen und Helmen und Maschinenpistolen, das hält sich an die Regel, die man kennt.
A.
Lassen wir den Krieg beiseite –
B.
Warum?
A.
Studenten und andere, die auf gesetzlichem Weg nicht erreichen, was sie fordern, verüben Gewalt gegen den Staat, besetzen die Sorbonne, zerstören, was ihnen im Weg steht, nötigen die Polizei zur Gewalt. Wenn du eine solche Straßenschlacht siehst, wessen Partei ergreifst du?
B.
Viel macht natürlich die Uniform. Ich kann mich mit dem Einzelnen leichter identifizieren als mit einer Kompanie, obschon die ja auch aus Einzelnen besteht, aber eigentlich erst, wenn sie verwundet sind … Ich weiß nicht, wie ich mich an Ort und Stelle verhalten hätte.
A.
Identifizierst du dich mit den Studenten?
B.
Dafür bin ich zu alt.
A.
Auch in deinem Alter nimmt man Partei. Ich nehme an, du hast dich nicht in den Reihen der Polizei gesehen.
B.
Ich bin Zivilist.
A.
Wie hast du dir den Ausgang gewünscht?
B.
Ich gestehe, daß sich diese Frage nicht gestellt hat, als ich die Wasserwerfer sah, dann diesen Hagel von Pflastersteinen, die Knüppel, die Tragbahren; der Ausgang war von vornherein klar – auch den Demonstranten, glaube ich – Sie haben demonstriert, daß es nichts zu wünschen gibt.
A.
Bezeichnest du die Polizei als brutal?
B.
Ihr Verhalten hat etwas Berufliches. Etwas Geübtes. Übrigens sind sie heute nicht zu Pferd gekommen, was vielausmacht; wenn sie zu Pferd kommen, ist der Zivilist schon degradiert … Vielleicht habe ich gelacht, weil die Polizei mit ihren runden Schilden mich an Shakespeare-Inszenierungen erinnert, wo die Schlacht komisch wird: so dekorativ. Natürlich gibt es nichts zum Lachen. Ich habe Angst vor der Gewalt.
A.
Schildere deinen Eindruck.
B.
Plötzlich ein Boulevard voll Studenten –
A.
Als sie plötzlich zum Angriff übergingen, die Studenten, dachtest du an die Bastille oder hattest du zeitweise den Eindruck: So fängt Faschismus an?
B.
Bei wem?
A.
Bei den Studenten.
B.
Darauf kam ich nicht. Faschisten machen es besser; sie machen es mit dem Militär und nicht gegen das Militär. Das ist kein Vorwurf an die Studenten, das liegt am Militär.
A.
Tatsache ist: Studenten oder was immer das
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