Tagebuch der Apokalypse 3: Roman (German Edition)
sondern sollte nur Anzeigen im Auge behalten, die einem sagten, ob alles innerhalb der normalen Parameter ablief. Dies erlaubte einigen gestressten Technikern, dringend benötigten Schlaf nachzuholen, und außerdem hatte er während dieser Tätigkeit Freundschaften geschlossen. Er war nun nicht mehr der schwerfällige und deplatzierte Ausländer.
Kil blätterte zum nächsten Kapitel um. Das Taschenbuch entglitt seiner Hand und fiel auf den Boden. Er schwang ein Bein über den Rand der Koje und hörte Saien sagen: »Ich krieg’s schon, Kil.«
»Danke.«
Saien hob das Buch auf, warf einen Blick auf die Inhaltsangabe auf der Rückseite und gab es Kil zurück.
»Warum liest du so ein Zeug, Mann? Bist du verrückt? Hast du davon noch nicht genug erlebt?«
»Ich weiß, dass wir eine Weile unterwegs waren, Saien, aber wirst du jetzt schrullig? Wir sind doch noch nicht mal in der Nähe eines Sufftages.«
»Was ist ein Sufftag?«
»Ein Sufftag ist ein Tag, an dem man sich, wenn man lange unterwegs war, mit Bier zuschüttet.«
»Ich trinke nicht, deswegen ist es mir egal. Wie wär’s heute mal mit frischer Luft und Sonnenschein?«
»Tut mir leid, Saien, aber ich fürchte, das gibt es auf diesen Booten nicht«, sagte Kil lachend. »Wenn du’s aber willst, reiche ich beim Captain einen Antrag für dich ein.«
»Danke. Ich hoffe, du träumst heute Nacht von diesen Dingern.«
Kil ignorierte Saiens Gemeinheit und wandte sich wieder dem Buch zu. Fünf Seiten weiter wurde er von Saien unterbrochen.
»Verzeihung, ich habe es nicht ernst gemeint. Ich möchte wirklich nicht, dass du heute Nacht von den Dingern träumst. Es war nicht nett von mir. Ich bin mit diesen Umständen einfach noch nicht vertraut.«
»Mach dir deswegen keine Sorgen, Mann. Wir kriegen alle den Hüttenkoller. Es hat auch damit zu tun, wie auf so ’nem Boot alles abläuft.«
»Hüttenkoller?«, sagte Saien. »Halb so wild. Ich habe über das nachgedacht, was du mir erzählt hast. Was der Captain bezüglich unseres nächsten Zieles gemeint hat.«
»Ja, und?«
»Nun, Oahu wurde von Raketen zerlegt. Du und ich wissen, was das bedeutet. Da könnten Hunderttausende von diesen Dingern rumlaufen. Ja, Kil, ich meine wirklich laufen .«
»Es gefällt mir ebenso wenig wie dir. Wir beide sind Berater. Bisher habe ich nichts anderes getan. Ich habe dem Captain verdeutlicht, wie ich die Sache sehe, aber das hier ist sein Boot. Ich persönlich halte es für Irrsinn, in Hawaii an Land zu gehen. Wenn es meine Entscheidung wäre, würde ich mir eine kleinere, nicht verseuchte Insel vornehmen und allen noch existierenden Kriegsschiffen Befehl erteilen, dorthin zu fahren. Wir könnten sie absichern und neu anfangen. Die überlebende Herrschaft ist anderer Meinung, und deswegen sind wir hier, an Bord eines schwimmenden Atomreaktors, der zu einem zusammengeschossenen Paradies unterwegs ist und sich Heeren von verstrahlten Leichen gegenübersehen wird.«
Saien schaute zu Kil hinauf. Seine Miene spiegelte einen Anflug von Geringschätzung. »Jetzt bist du derjenige, der mich Albträume erleiden lässt, die ich dir zugedacht hatte. Du doofer Schweinefresser.«
Kil lachte und lehnte sich zurück, um weiter in seinem Buch zu lesen. »Schrei bloß nicht irgendwann um Hilfe – ich möchte gern noch ’ne Weile lesen.«
Ein trotziger Schlag auf die Matratze unter ihm deutete an, dass Saien dies unter keinen Umständen tun wollte.
Fünfundzwanzig
Man schloss keine Freundschaften mehr in sozialen Netzwerken. Sie kamen auch nicht in Kirchen, auf Partys oder bei einer Happy Hour zustande. Wer in dieser Zeit, in der die Untoten herrschten, mit jemandem in Verbindung bleiben wollte, musste sich in die Urzeit des Funkens zurückbegeben. Eine Handvoll Familien lebte noch immer, und zwar jene wenigen Vorausschauenden, die sich auf Kalamitäten vorbereitet hatten. Leider hatte niemand etwas vorhergesehen, das der gegenwärtigen Lage auch nur im Entferntesten ähnlich war. Die meisten Menschen hatten mit terroristischen Angriffen oder einem wirtschaftlichen Zusammenbruch gerechnet. Letztere Angst war in den Monaten vor der wirklichen Katastrophe tatsächlich weit verbreitet gewesen. In Europa und im Mittleren Osten hatten Straßenkämpfe getobt. Der Euro war zusammengebrochen. In den Straßen Spaniens, Frankreichs, Irlands und sogar Großbritanniens waren Polizeibarrikaden und brennende Fahrzeuge bereits vor dem Erscheinen des ersten Untoten ein vertrauter Anblick gewesen.
Die
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