Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Straßenschlacht tobt nur wenige hundert Meter von meinem Büro entfernt
Seit den Morgenstunden haben die Jugendlichen für den zweiten Tag ihres Protestes über Facebook mobilisiert. Die Polizei hat mit einem massiven Aufgebot versucht, jegliche Versammlung zu unterdrücken und Leute von der Straße weg zu verhaften.
Aber es scheint, die Polizei hat auch an diesem zweiten Tag verloren. Im Moment toben viele Straßenschlachten in Kairo. Die Polizei ist total überfordert und wirft mit Steinen auf Demonstranten.
DiePresse.com, 26.1.2011
Proteste in Ägypten: „Tunesien ist die Lösung“
Die Jugendlichen, die täglich auf den Straßen der ägyptischen Hauptstadt Kairo demonstrieren, wollen eine Revolte wie in Tunis herbeiführen. Trotz massiver Drohungen versammeln sich Tausende auf den Straßen.
Kairo. Die Proteste in der ägyptischen Hauptstadt sind zum Kampf zwischen zwei Welten geworden: auf der einen Seite der traditionelle Sicherheitsapparat mit all seiner Bereitschaftspolizei und den im Hintergrund agierenden Geheimpolizisten, auf der anderen Seite eine neue Generation, die sich nicht mehr einschüchtern lässt.
Ihre Waffe ist das Internet. Sie organisieren sich mithilfe von Blogs, dem sozialen Netzwerk Facebook, das in der arabischen Welt mehr Nutzer hat als die Tageszeitungen, und dem Kurznachrichtendienst Twitter. Was in der tunesischen Revolte zum Einsatz kam, das hat in Ägypten schnell Schule gemacht.
Am Mittwoch haben sich wieder beide Seiten in Kairo aufgebaut. Der Polizeiapparat versuchte sich an der epischen Herausforderung, alle Straßenecken in der 18-Millionen-Stadt zu besetzen. Die Jugendlichen machen seit den frühen Morgenstunden für ihren nächsten Protesttag mobil. Trotz massiver Drohungen versammelten sich Tausende auf den Straßen.
Noch in der Nacht davor waren sie mit Knüppeleinsatz, Tränengas und Wasserwerfern vom Platz der Befreiung im Zentrum Kairos vertrieben worden. Doch schon wenig später tauschten die Demonstranten via Facebook Tipps aus, wie man am besten mit den neuen gepanzerten Wasserwerfern des ägyptischen Sicherheitsapparats umgehen solle.
Neue Generation des Widerstands
„Nehmt Beutel mit schwarzer Farbe und Sprühdosen mit“, heißt es dort. Zunächst müsse der Farbbeutel auf die kleine Windschutzscheibe des gepanzerten Fahrzeuges geworfen werden und dann mittels Sprühfarbe das restliche Fenster verdunkelt werden. Dann sei es leicht, die Reifen der Fahrzeuge aufzuschlitzen.
Was hier seinen Ausdruck findet, ist eine völlig neue Generation des Widerstands gegen ein seit drei Jahrzehnten herrschendes Regime, mit dessen Präsident Hosni Mubarak sie geboren und aufgewachsen ist. Als er an die Macht kam, saßen in Österreich Bruno Kreisky und in Deutschland Willy Brandt im Kanzleramt. Jetzt wollen die Jungen nicht mehr kuschen wie ihre Eltern, und sie wollen auch nicht versuchen, es sich mit dem Regime einzurichten.
Zu richten gibt es auch nichts mehr. Das Regime hat ihnen nichts zu bieten, außer Arbeitslosigkeit, wachsender Armut und Korruption. Was für Tunesien galt, das ist auch für Ägypten gültig – ein Land, in dem jeder Vierte mit knapp mehr als einem Euro am Tag auskommen muss.
Und was ist mit den Islamisten?, lautet der Furchtschrei aus Europa. Damit ist Mubarak jahrzehntelang hausieren gegangen, er sei „die einzige Option und Bollwerk gegen die Muslimbrüder und deren Slogan ,Islam ist die Lösung‘“. Doch das haben die Jugendlichen auf Ägyptens Straßen hinter sich gelassen. Hier marschieren sie alle gemeinsam: junge Muslimbrüder, Linke, Nasseristen und viele aus der Mittelschicht, die sich noch nie für Politik interessiert haben. „Tunesien ist die Lösung“, rufen sie.
Viele von ihnen haben diese Woche das erste Mal in ihrem Leben an einer Demonstration teilgenommen. Die traditionellen Oppositionsparteien, die genauso wie die Regierungen von „Dinosauriern“ geführt werden, haben keine Lösungen für sie parat. Angst haben die Demonstranten keine mehr: „Wir sind hier nicht als Muslimbrüder, sondern als Ägypter“, erklären zwei junge Männer stolz. „Es ist uns egal, was unsere Führung alter Männer sagt.“
Pfiffe gegen die Alten
Als sich die Polizei am Dienstagabend vom Platz der Befreiung zurückgezogen hatte und die Jugendlichen dort spontan ein Volksfest feierten, wollten die alten Vertreter der Oppositionsparteien Reden halten. Sie wurden von den Jugendlichen niedergeschrien. „Was wollt ihr hier?“, riefen
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