Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
sie, „jahrelang habt ihr nichts geändert und euch mit dem Regime arrangiert, und jetzt wollt ihr euch vor unseren Karren spannen.“
Während die alten Oppositionellen sich nicht trauen, den Rücktritt Mubaraks zu fordern, verlangen die Jungen das ungeniert. „Nieder mit dem Regime, stürzt Mubarak!“, riefen sie. Hier wird das ganze marode arabische Politik-System an den Pranger gestellt.
Wie es weitergeht, ist unklar. Vielleicht schafft es die Polizei mit Gewalt, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Aber die Jugendlichen, die sich dieser Tage ohne Angst vor die Polizeiketten gestellt und diese erstmals in der ägyptischen Geschichte in die Flucht geschlagen haben, werden nicht einfach wieder nach Hause gehen und so tun, als wäre nichts geschehen. Für sie alle gibt es eine neue Zeitrechnung: die Zeit vor und nach der tunesischen Revolte.
Arabesken, tazblog 26.1.2011
Wie geht es weiter in Ägypten?
Werden wir in Ägypten das tunesische oder das iranische Szenario erleben? Wird der Diktator bald den Abgang à la Tunesien machen oder wird die Jugendbewegung ähnlich wie im Iran unterdrückt? Ich glaube Ersteres, da ich mir sicher bin, dass die Amerikaner und das von ihnen ausgebildete ägyptische Militär schon längst an einer Lösung basteln, während Mubarak in den letzten Tagen ganz still geworden ist. Was soll er denn auch noch sagen? Wenn er eine Rede hält, in der er umfassende Reformen verspricht, ist das wahrscheinlich seine letzte. Hatte doch sein Kollege Ben Ali in Tunesien eine ähnliche letzte Rede gehalten.
Noch muss die Situation ein wenig kochen, damit das Militär einschreitet und seine Lösung präsentiert, und die wird sicherlich nicht den Namen Mubarak beinhalten. Aber wie gesagt: Das sind nur meine bescheidenen Gedanken …
Tweet auf Twitter
26. Januar 2011, 23:50 Mein Twitter geht wieder in Ägypten.
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27.1.2010
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taz.de, 27.1.2011
„Das Leben ist unmöglich geworden“
Trotz der Verhaftungen, trotz der Brutalität der Polizei, trotz der Beschwichtigungsversuche: Die Demonstrationen in Ägypten gehen weiter. Vor allem in Kairo.
Kairo. Irgendwie ist er symptomatisch für die ganze Misere des Landes, der junge Jurist im Hof der Anwaltskammer. Dort, wo es etwas ruhiger ist und die Rufe der Demonstranten vor dem Tor – „Nieder mit dem Regime“ und „Stürzt Mubarak“ – nur noch leise durch die Mauern dringen. Hier macht die Revolte eine kurze Pause.
Mohammed Kamal sitzt zusammengesunken auf einem Schemel. Er ist sichtlich schockiert, wischt sich mit einem Taschentuch das Blut aus dem Gesicht. Die lila-rote Schwellung an seinem Auge aber bleibt. „Ich habe versucht, auf einer Demonstration eine Frau zu schützen, auf die die Polizisten eingeprügelt haben, als sie am Boden lag“, erzählt der Anwalt. „Ich wollte sie da rausholen und dann haben sie auf mich zu siebt eingeprügelt und haben gerufen: ,Du Hundesohn‘.“ Kamal macht eine Pause und schüttelt wiederholt den Kopf. „Das Leben hier ist unmöglich geworden. Jeden Tag trampeln sie auf der Würde der Menschen herum“, bricht es aus ihm heraus. „Schau mich an, wie sie mich zugerichtet haben. Ich bin Anwalt, aber ich muss dir sagen, in diesem Land gibt es keine Gerechtigkeit.“ Er blickt still zu Boden, bevor er fortfährt. „Solange es keine Gerechtigkeit gibt, geht es abwärts mit diesem Land – und am Ende auch mit Hosni Mubarak und mit all denen, die hinter ihm stehen. Es wird ihnen genauso gehen wie Ben Ali in Tunesien“, sagt er mit zunehmendem Ärger in der Stimme.
Und dann ist er kaum mehr zu bremsen. Er arbeite jeden Tag am Gericht. Er habe genug von dieser Bestechung. Jeden Tag lungere er mit anderen Anwälten vor den Türen der Richter herum. „Ich möchte das nicht mehr machen.“ Aber er sei dazu gezwungen, um seine Fälle erfolgreich abzuschließen. „Wir alle haben unsere Würde abgelegt“, klagt er.
Mit den Demonstrationen wolle er auf jeden Fall weitermachen, kündigt er an. Was ihm heute widerfahren sei, habe ihn nur bestärkt. „Ich bin 25 Jahre alt. Ich bin unter Mubarak geboren. Und ich werde mit Mubarak oder seinem Sohn ins Grab gehen“, meint er bitter. „Mubarak ist ein Greis, warum regiert er immer noch?“, fragt er und endet wie folgt: „Entweder nimmt Gott ihn oder uns zu sich. Wir können einfach nicht mehr.“
Die Demonstrationen in Kairo gingen trotz der zahlreichen Verhaftungen und der wachsenden Brutalität des Polizeiapparates weiter. In
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