Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
Rolle bei diesem Konflikt zu spielen – wie entwickelt sich denn jetzt die Rolle des Militärs, der Armee?
Karim El-Gawhary: Einerseits sehen wir im ägyptischen Fernsehen immer wieder Bilder, wo Mubarak in der Mitte seiner Militärführung sitzt. Andererseits hat das Militär jetzt auch eine Erklärung herausgegeben, die ich sehr interessant finde: Das Militär hat nämlich gesagt, die Forderungen der Demonstranten seien legitime Forderungen, und es hat auch gesagt, die Armee werde keinesfalls auf die Demonstranten schießen. Wenn man die Panzer sieht, die in einem Meer von Menschen auf dem Tahrir-Platz stehen, und die Soldaten, die da seit Tagen sitzen und mit den Demonstranten diskutieren, erkennt man: Die Demonstranten und die Soldaten sind mehr oder weniger zu einer Masse verschmolzen und man kann sich eigentlich schwer vorstellen, dass diese Soldaten irgendeinen Befehl ausführen würden, der gegen die Demonstranten gerichtet ist.
ORF, ZIB 2, 1.2.2011, 22:00
ORF: Vor kurzem hat US-Präsident Obama gesagt, er sieht die Präsidentschaft Mubarak am Ende – wissen da die Amerikaner aus Gesprächen hinter den Kulissen vielleicht schon mehr, als auf den Straßen Kairos in Erfahrung zu bringen ist?
Karim El-Gawhary: Davon kann man sicherlich ausgehen. Auf jeden Fall ist klar, dass sie in den letzten 24 Stunden den Druck erhöht haben, denn gestern haben die Amerikaner gesagt, dass Mubarak für einen friedlichen Übergang sorgen soll, dann hat Obama einen Sondergesandten nach Kairo geschickt und jetzt kommen diese bisher schärfsten Worte von Obama: Da erhöhen die Amerikaner natürlich den Druck, der nicht nur international, sondern auch auf der Straße, aber möglicherweise auch aus der eigenen Armee, immer stärker wird.
ORF: Die zweite Entwicklung aus der letzten Zeit, der letzten Stunden, ist die Ankündigung von Mubarak, nicht mehr kandidieren zu wollen – wie wirkt sich denn das auf die Demonstranten aus? Umgekehrt hieße das ja, dass er bis Herbst noch bleiben wird …
Karim El-Gawhary: Die Leute werden das wahrscheinlich nicht akzeptieren, es ist ein weiteres Rückzugsgefecht. Zunächst hat er ja eine Rede gehalten, in der er gesagt hat, er will politisch reformieren – das hat keiner ernst genommen; dann hat er einen neuen Vizepräsidenten und einen neuen Premierminister bestimmt – das hat auch keiner ernst genommen; dann hat er seine gesamte Regierung ausgewechselt – das hat auch keiner ernst genommen; und jetzt eben diese Ankündigung, die wahrscheinlich auch keiner ernst nehmen wird. Die Leute wollen keine Reden mehr von Mubarak hören, ich glaube, die Mehrheit der Menschen, die heute auf der Straße waren – es waren ja die größten Demonstrationen, die es jemals in Kairo gab –, wollen, dass die Ära Mubarak endet, und zwar nicht erst im Herbst.
ORF: À propos Rückzugsgefecht: Wie könnte denn so ein Rückzug Ihrer Meinung nach aussehen, das heißt: Worüber verhandelt er denn da?
Karim El-Gawhary: Da würde man gern bei der Militärführung eine Fliege an der Wand sein, um zu hören, wie sie mit Mubarak verhandelt. Aber es gibt natürlich verschiedene Szenarien, es gäbe das tunesische Szenario, das ist sozusagen das brutale Szenario, dass wir auf einmal über das ägyptische Fernsehen eine Meldung bekommen, dass der Präsident das Land verlassen hat; das ist eine Möglichkeit. Aber ich glaube, dass das ägyptische Militär versucht, ein etwas sanfteres Szenario zu finden, da Mubarak schließlich einer von ihnen ist. Möglicherweise versucht es, Omar Suleiman, den ehemaligen Geheimdienstchef und vor kurzem ernannten Vizepräsidenten, hochzuhieven. Es könnte beispielsweise eine Ankündigung geben, dass Mubarak zu einer Operation nach Deutschland fahren muss, und dann übernimmt Omar Suleiman als Vizepräsident das Amt und Mubarak kommt nicht mehr zurück. Ob das dann am Ende alles so funktionieren wird und ob die Leute das auch so akzeptieren werden, steht auf einem anderen Blatt.
Die ersten Schlägertruppen des Regimes tauchen auf – und bringen selbst meine unpolitische Tante gegen Mubarak auf
ORF ZIB 24, 1.2.2011, 24:00
ORF: Jetzt gehen die Krawalle offenbar auch in Kairo los. Wir gehen jetzt live zu Karim El-Gawhary nach Kairo. Herr El-Gawhary, wer sind denn diese Leute und was passiert im Moment bei Ihnen?
Karim El-Gawhary: Mubarak hatte heute in einer Rede von seiner langen Karriere im Dienste des Volkes gesprochen und davon, dass er nicht daran denke abzutreten. Dass er
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