Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
ihre Stellungen, sie haben sogar dazu aufgerufen, dass die Demonstranten, die gestern gegen Mubarak demonstriert haben, jetzt wieder auf den Platz kommen sollen. Es gibt tatsächlich Leute, die jetzt zu diesem Platz kommen, um den Demonstranten dort zu helfen. Ich glaube, das Ganze hat noch einen anderen Effekt, den Mubarak vielleicht nicht wollte. Zum einen natürlich den internationalen Effekt dieser Bilder, die jetzt rund um die Welt gegangen sind: Die Amerikaner und Obama haben sich jetzt noch einmal wesentlich schärfer gegenüber den Ägyptern geäußert. Aber auch intern, im Land selber – meine 70-jährige Tante hat mich angerufen und gesagt, sie würde jetzt am liebsten selber auf diesen Platz gehen. Das heißt, Mubarak hat jetzt Obama und meine unpolitisierte Tante gegen sich – es sieht eigentlich nicht gut aus für ihn.
ORF: Dass diese Pro-Mubarak-Demonstranten vom Regime geschickt sind, diesen Verdacht gibt es, er geht sogar noch weiter, dass das Polizisten in Zivil sein könnten – was deutet denn darauf hin, dass das so ist?
Karim El-Gawhary: Ja, das ist mehr als ein Verdacht. Das sind bezahlte Schlägertruppen, das ist ein übliches System hier in Ägypten, das kennen wir von den Parlamentswahlen, wenn zum Beispiel ein Parlamentsabgeordneter der Regierungspartei hier bei den Wahlen Kampagne macht, dann heuert er ganz häufig solche Schlägertrupps an, um die Konkurrenz auszuschalten, und es sind die gleichen Trupps, die heute hier aufgetaucht sind, nur in viel größerem Ausmaß. Man hat bei einigen auch Ausweise von Polizisten gefunden – auch deshalb kann man davon ausgehen, dass Polizisten in Zivil dabei waren. Ich habe heute selber gesehen, wie einige Offiziere und Polizisten dabeistanden, als dieser Aufmarsch zum Platz kam, und den Leuten gesagt haben, wo’s langgeht, wo sie hingehen sollen.
ORF: Ganz kurz noch: Sehr unklar ist ja auch, was das Militär jetzt macht – von den großen Verbrüderungen, von denen Sie früher berichtet haben, ist ja heute keine Rede mehr?
Karim El-Gawhary: Das Militär hält sich vollkommen raus. Genauso wie es sich aus den Anti-Mubarak-Demonstrationen rausgehalten hat, hält sich das Militär auch jetzt raus – vor meinem Büro stehen vier Panzer, auf denen Soldaten sitzen, und die Schlägertrupps ziehen immer Richtung Tahrir-Platz weiter, keiner von der Armee hält sie auf.
Auch wir Journalisten werden zur Zielscheibe
Tweets auf Twitter
2. Februar 2011, 23:44 Unsere ORF-Produzentin wurde heute Nacht von Schlägern angegriffen, weil sie ein Stativ in der Hand hatte. Konnte sich aber ins Hotel retten.
2. Februar 2011, 23:46 Arbeit ist sehr schwer geworden. Jugendliche vom Nachbarschaftskomitee begleiten mich zum Schutz vor Schlägern zur Live-Position für die ZIB 24.
2. Februar 2011, 23:46 Gerücht geht um, dass ein Großangriff der Schläger auf den Tahrir-Platz geplant ist.
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3.2.2011
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Auf Facebook gepostet
3. Februar 2011, 00:47 Acht Journalisten wurden heute Nacht angegriffen. Vier werden vermisst. Auf dem Handy eines von ihnen antwortet der Schläger: „Habe ihn umgebracht.“
3. Februar 2011, 00:49 Terror in Kairos Innenstadt. Sie suchen nach Journalisten. Viele Kameras wurden zerstört.
3. Februar 2011, 00:52 Ich kann die Schläger vom Fenster aus sehen.
3. Februar 2011, 07:23 Mindestens sechs Tote heute Nacht am Tahrir. Drei durch scharfe Munition.
3. Februar 2011, 07:25 Mehrere tausend Demonstranten harren dort immer noch aus. Kleinbusse bringen immer neue Schläger an Rand des Platzes.
3. Februar 2011, 07:26 Laut arabischen Medienberichten wurde ihnen Geld versprochen, wenn die Schläger den Platz erobern.
Tweets auf Twitter
3. Februar 2011, 11:59 Komme gerade vom Tahrir-Platz. Erst hat mich das Militär auf gehalten. Dann wurde ich auf einer anderen Straße von den Schlägern aufgehalten.
3. Februar 2011, 12:02 Die ließen mich erst in Frieden, als ich meinen ägyptischen Ausweis gezeigt habe. Sie erzählten, sie hätten eben einen ausländischen Journalisten erwischt.
taz.de, 3.2.2011
Die gekaufte Wut
Die Regierung versucht die Demonstranten einzuschüchtern. Die „Baltagyja“, die „Axtträger“, bilden die Vorhut. Sie sind wie Söldner und gehören zu den Ärmsten.
Kairo. Am Donnerstagvormittag ist auf der Straße in Richtung Ägyptisches Museum und Tahrir-Platz kein Durchkommen mehr. Soldaten sind hier in Stellung gebracht und schicken alle zurück – auch jene, die zu den Demonstranten auf
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