Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
den Übergang in eine neue Zeit selbst moderieren wolle, dann aber nicht mehr bei den nächsten Präsidentschaftswahlen antreten wolle. Und er hat gleich mehrfach betont, dass die Ägypter die Wahl hätten zwischen ihm, als Garant der Stabilität, und dem Chaos. So war es sicher kein Zufall, dass jetzt, wenige Minuten nach dieser Rede, die ersten Mubarak-Anhänger auf die Straße kamen. Das war so eine Art Schlägertruppe, die mit Stöcken usw. hier vorbeigezogen ist, hier an der Straße entlang, vielleicht zwei-, dreihundert Leute, und die stehen jetzt – ich weiß nicht, ob man’s hört – vor dem Fernsehgebäude und schreien alle ihren Spruch. Die Demonstranten haben ja den ganzen Tag gesagt: „Wir bleiben, er geht!“ und die sagen jetzt: „Er geht nicht, er geht nicht!“ Da braut sich offensichtlich etwas zusammen.
ORF ZIB 24, 1.2.2011, 24:00, 2. Schaltung
ORF: Wir schauen jetzt noch einmal zu Karim El-Gawhary nach Kairo. Herr El-Gawhary, bei Ihnen – wir sehen gerade Panzer – spielt es sich jetzt doch schlimmer ab als befürchtet …
Karim El-Gawhary: Von unserem Balkon sehen wir jetzt wieder diese Pro-Mubarak-Demonstranten. Ich habe dem Kameramann gerade gesagt, er soll die Kamera mal draufrichten. Sie gehen alle in Richtung Tahrir-Platz, also genau dorthin, wo immer noch viele Demonstranten sind. Viele haben dort übernachtet, haben dort ihre Zelte aufgebaut und sind den ganzen Tag dort geblieben. Und diese Jungs da unten marschieren jetzt hin und man kann nur abwarten, was da jetzt passiert. Jetzt sieht man, da vorne kommen sie auch mit Motorrädern, alle in Richtung Tahrir-Platz, man kann eigentlich nur hoffen, dass die Armee da gleich dazwischengeht – zumindest ist sie dort ja wenigstens präsent. Hier vor meinem Balkon hat sie noch nichts gemacht, wie man sieht, hier lässt die Armee sie noch durchgehen.
ORF: Aber besteht denn jetzt die Hoffnung, dass die Armee am Tahrir-Platz eingreift und bei Ihnen vor dem Fernsehgebäude nicht?
Karim El-Gawhary: Ja, ich denke schon. In der letzten halben Stunde war die Armee hier schon in höherer Alarmbereitschaft, man konnte das sehen, weil die Soldaten mit roten Fahnen auf den Panzern standen, das ist anscheinend das Zeichen für sie, dass sie nun in Alarmbereitschaft sind – und ich nehme an, das machen sie jetzt auch auf dem Tahrir-Platz, das heißt, die nächsten Minuten und Stunden könnten interessant werden.
ORF: Kann man eigentlich sagen, wie viele Anhänger Mubarak noch hat und vor allem, wie groß der staatliche Rückhalt noch ist?
Karim El-Gawhary: Das ist schwer zu sagen. Was wir hier sehen, ist, glaube ich, so eine bezahlte Geschichte – man zahlt Leuten im Armenviertel ein bisschen Geld, damit sie so etwas machen. Aber es gibt natürlich … aha, da unten fangen schon die ersten Prügeleien an … das System Mubarak hat sicher einige zehntausend Leute, die von diesem System profitiert haben, und die werden jetzt natürlich nicht so einfach alles aufgeben.
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2.2.2011
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Auf Facebook gepostet
2. Februar 2011, 12:20 Internet via 3G ist wieder eingeschaltet in Kairo.
2. Februar 2011, 12:21 Vor meinem Büro haben sich mehrere tausend Mubarak-Anhänger versammelt.
2. Februar 2011, 12:22 Die meisten wohl Mitarbeiter des Staatsfernsehens.
2. Februar 2011, 12:22 Regime versucht, die Straße zurückzuerobern.
2. Februar 2011, 12:24 Gefährliche Situation. Mubarak-Anhänger nur 500 m vom Tahrir-Platz entfernt, wo Gegner sind.
2. Februar 2011, 14:31 Mubarak zieht alle Register und hat Mob mobilisiert, die zu Tausenden an unserem Büro vorbeiziehen.
2. Februar 2011, 14:32 Auf Motorrädern, Pferden, Kamelen mit Knüppeln ziehen sie Richtung Tahrir-Platz.
2. Februar 2011, 14:34 Sie verprügeln Demonstranten auf Tahrir.
2. Februar 2011, 14:34 Mubarak nimmt dieses Land in den Abgrund.
Tweets auf Twitter
2. Februar 2011, 15:09 Was da draußen auf der Straße in Kairo stattfindet, ist der blanke Horror.
2. Februar 2011, 15:15 Seit zwei Stunden zieht eine Mischung aus Mob, Mitarbeitern der staatlichen Betriebe und Amtsstuben und Polizisten in Zivil an unserem Büro vorbei.
ORF, ZIB 2, 2.2.2011, 22:00
ORF: Und in Kairo jetzt wieder unser Korrespondent Karim El-Gawhary – wie sehr haben denn diese Aktionen heute die Demonstranten wirklich verschreckt und sie nachhaltig aus den Straßen vertrieben?
Karim El-Gawhary: Vertrieben haben sie sie sicher nicht, die Straßenschlachten dauern immer noch an, die Leute halten
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