Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
dem Platz stoßen wollen.
Die ersten Demonstranten stehen etwa hundert Meter weit entfernt, vor ihnen laufen jetzt in Zivil gekleidete Schlägertrupps auf und ab. Noch warten sie, was passiert. Sie drohen aber Passanten, die in Richtung Platz gehen wollen, und verlangen ihre Ausweise zu sehen. Sie sind auf der Suche nach Ausländern und Journalisten.
In der Nähe der Ramses-Straße haben sich mehrere tausend Männer versammelt und bewerfen Demonstranten mit Steinen.
Auf dem Tahrir-Platz ist die Stimmung dagegen entspannter. Viele sind stolz darauf, die vergangene Nacht hier ausgeharrt zu haben. Sie haben sich nicht einschüchtern lassen. Der junge Aktivist Mohammed Hussein ist einer der Hartnäckigen, die den sofortigen Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak fordern. „Wir gehen nicht weg“, sagt er, „außer, wenn wir zu Tode geprügelt werden“, stellt er klar. Aber jetzt bräuchten sie Unterstützung. Viele seien am Ende ihrer Kräfte angelangt.
Am Morgen sind bereits weitere Demonstranten eingetroffen, ausgerüstet mit Medikamenten, Verbandsmaterial und Verpflegung. „Wir haben nicht viel, aber es ist genug“, sagt Hussein und erläutert das Vorgehen der Demonstranten: In den vordersten Reihen stünden diejenigen, die die Demonstranten gegen eventuelle Angriffe der Schlägertrupps verteidigen würden.
Dahinter folge die „Dokumentationsabteilung“. Diese fotografiere mit Handy oder Fotoapparaten möglichst viele der Schläger. Später könnten dann Misshandlungen dokumentiert und die Täter vor ein Gericht gebracht werden. Ganz hinten schließlich, wo es etwas ruhiger zugehe, sei die „Presseabteilung“ zugange. Diese Demonstranten würden über ihre Handys ein Interview nach dem anderen geben.
Am Nachmittag berichtet Mamdouh Habashi von der Mitte des Platzes, dass niemand mehr rein oder raus käme. Die Schlägertrupps sammelten sich in der Nähe. Habashi ist Mitglied der Bewegung Kifaya („Es reicht!“). Der Menschenrechtsaktivist Gasser Abdel Ghazeq wurde von den Schlägern aufgehalten, seine Plastiktüten mit Medikamenten und Essen weggenommen. Er sei froh gewesen, dass er wieder wegkam, sagt er erleichtert.
Die Schlägertrupps, die seit Mittwoch ihr Unwesen treiben, werden auf Arabisch „Baltagiya“ genannt. Das bedeutet „Axtträger“. Es sind ausschließlich Männer, sie zählen zu den Ärmsten der Armen und stammen aus den Kairoer Slums oder den ländlichen Gebieten in der Umgebung der Hauptstadt. Man erkennt sie leicht an ihrer ärmlichen Kleidung und ihrem Dialekt.
Die Baltagiya sind wie Söldner. Sie lassen sich anheuern. Man kann sie zum Beispiel während der Parlamentswahlen im eigenen Bezirk mieten, um dafür zu sorgen, dass die Mitbewerber nicht zu viele Stimmen bekommen.
Am Mittwoch bildeten die Baltagiya bei den Gegendemonstrationen die Vorhut, dahinter liefen Mitglieder von Mubaraks Partei und Staatsangestellte. Der Informationsminister etwa hatte die Angestellten der Rundfunk- und Fernsehzentrale aufgefordert, sich dem Marsch anzuschließen. Offenbar war es der Plan, dass die Schlägertrupps zunächst den Tahrir-Platz räumen, der dann von der Nachhut besetzt werden sollte.
Den Schlägertrupps sei eine Motivationszulage für den Fall versprochen worden, dass es ihnen gelingen sollte, die Demonstranten vom Platz zu vertreiben. Das sagen Schläger, die von den Demonstranten festgenommen wurden. Einige von ihnen hatten Ausweise der Polizei oder der Staatssicherheit dabei.
Auch die Reiter auf Pferden und Kamelen, die am Mittwoch gegen die Demonstranten vorgegangen waren, sollen gekauft gewesen sein. Sie würden an gewöhnlichen Tagen Touristen zu den Pyramiden von Gizeh führen. Bezahlt haben soll sie der Parlamentsabgeordnete des Bezirks.
Dies bedeutet zweierlei: Erstens, dass nicht jeder, der gegen die Demonstranten auf die Straße geht, ein Anhänger von Mubarak ist. Manche brauchten schlicht das Geld. Andere wurden von ihren Arbeitgebern geschickt. Zweitens gibt es sehr viele Profiteure des Baltagiya-Systems. Dazu gehören nicht nur Abgeordnete, sondern auch Geschäftsleute im Dunstkreis der Regierung, die diese Schläger einsetzen, um Konkurrenten zu verdrängen und sich Monopole und Generalvertretungen zu sichern. Dabei geht es um sehr viel Geld.
Somit stellt sich die Frage, wer den Baltagiya grünes Licht gegeben hat. Die Armee hielt sich am Mittwoch auffällig zurück. Dabei wäre es für die Militärführung vermutlich kein Problem, Mubarak loszuwerden. Doch
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