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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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schwedischen Fernsehen ist schwer verletzt, seine Schädeldecke ist offen, er hat ein Messer in den Bauch gerammt bekommen, er liegt im Krankenhaus hier in Kairo – es herrschen wirklich sehr schwierige Bedingungen. Wir haben den Ort gewechselt, wir sind nicht mehr im ORF-Büro, sondern an einem anderen Ort, um dort weiter sicher arbeiten zu können.
    Diese Information war absichtlich falsch. Wir wollten die Behörden nicht darauf aufmerksam machen, dass wir uns immer noch im selben Studio befanden. Jede einzelne Satellitenschaltung läuft über das staatliche ägyptische Fernsehen und wird dort genauestens beobachtet.
    ORF: Trotzdem, zur Situation draußen im Stadtzentrum von Kairo: Wie ist denn die Situation heute Abend?
    Karim El-Gawhary: Wir konnten immer die Schläger sehen, die unter unserem Büro entlangziehen, und wir telefonieren regelmäßig mit Leuten, die auf dem Platz stehen, die uns immer wieder Neues berichten. Das Kuriose dabei ist, dass die Stimmung auf dem Platz ziemlich gut ist. Die Leute haben dort den Eindruck, dass das jetzt die entscheidenden Stunden sind, dass sie im Moment auf dem Platz die kritische Masse erreicht haben – es sind heute Nachmittag und Abend immer mehr Leute auf diesen Platz gekommen. Sie haben das Gefühl, dass diese Schläger sie nicht mehr zurückdrängen können und dass sie gewonnen haben, wenn sie bis morgen die Stellung halten, wo nach dem Freitagsgebet noch einmal eine Großdemonstration angesagt ist.
    ORF: Jetzt hat der Vizepräsident eine Einladung zum Dialog an die verbotene Muslimbruderschaft ausgesprochen, der Generalstaatsanwalt hat ranghohen Mitgliedern des Mubarak-Regimes untersagt, das Land zu verlassen – was ist denn davon zu halten?
    Karim El-Gawhary: Ich glaube, das Ganze steht gerade auf der Kippe. Teile des Staates fangen jetzt an, sich gegen Teile des alten Regimes zu wenden. Geschäftsleuten, die dem Regime nahestehen, wurde die Ausreise verweigert, man darf zurzeit in Ägypten laut Staatsanwaltschaft von keinem Konto mehr als 10.000 Dollar abheben – alles Maßnahmen, die eigentlich schon dazu gedacht sind, die Vertreter des alten Regimes daran zu hindern, abzuhauen und ihr Geld mitzunehmen. Man sieht, dass die ganze Geschichte langsam kippt. Das Militär ist immer noch nicht entschieden, wir warten, was da in den nächsten Stunden passieren wird.
    ORF, ZIB 2, 3.2.2011, 22:00
    ORF: Sie haben heute schon in mehreren Zeit-im-Bild-Sendungen erzählt, wie sehr Sie in Ihrer Berichterstattung eingeschränkt werden. Auch bis wenige Minuten vor der ZIB 2 konnten wir nicht wirklich sagen, ob diese Live-Schaltung stattfinden kann. Können Sie uns sagen, wie gefährlich das Leben für Sie als Reporter mittlerweile geworden ist?
    Karim El-Gawhary: Die Situation ist sehr schwer einzuschätzen und ändert sich auch stündlich. Ich glaube, im Moment hat sich die Mehrheit der Schlägertrupps aus der Innenstadt zurückgezogen – ich bin vorhin ein bisschen über die Straße gegangen, um mir das anzusehen. Es herrscht eine ziemlich gespenstische Stille hier in der Innenstadt, wenn man nicht gerade direkt auf dem Tahrir-Platz ist. Aber auch die Leute, die ich auf dem Tahrir-Platz angerufen habe, haben gesagt, die meisten Schläger seien im Moment abgezogen. Wir hatten natürlich mit diesen Schlägern heute den ganzen Tag Probleme, die haben sich ganz gezielt ausländische Journalisten rausgesucht und auch viele Ägypter. Das Regime verbreitet sehr viele Gerüchte, dass angeblich die Ausländer hinter dieser ganzen Geschichte stecken, entweder ist es der Mossad, der israelische Geheimdienst, oder es ist die Hisbollah im Libanon, oder – die neueste Geschichte – man habe drei Afghanen mit einer halben Million Dollar gefunden und die Al-Kaida stecke dahinter, oder es sind die Amerikaner – es gibt eine weite Palette an Gerüchten, die das staatliche Fernsehen gerade streut. Das hetzt die Leute natürlich ein bisschen gegen die Ausländer auf und auch vor allem gegen die ausländischen Journalisten.
    ORF: Der amerikanische Fernsehsender ABC hat jetzt am Abend ein Interview mit Präsident Mubarak ausgestrahlt. In diesem Interview sagt Mubarak: „Wenn ich zurücktrete, dann bricht Chaos aus.“ Wäre ein Rücktritt in dieser heiklen Phase nicht möglicherweise wirklich der falsche Schritt?
    Karim El-Gawhary: Er sagt das schon seit 30 Jahren: „Wenn ich nicht mehr bin, dann ist keine Stabilität mehr da; wenn ich nicht mehr bin, dann übernehmen die Islamisten“

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