Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
niemand mit Bestimmtheit zu sagen.
Aber vielleicht ist meine vollkommen unpolitische Cousine Nermin aus Alexandria ein Barometer. Sie rief am Montag an und sagte, sie habe das Spiel durchschaut. „Ich hoffe, dass die Leute auf dem Tahrir den längeren Atem haben.“
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8.2.2011
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Auf Facebook gepostet
8. Februar 2011, 9:49 Gerade hat mir jemand erzählt, dass sie das erste Mal Angst bekommen hat, als die Iraker ihre Bürger aus Ägypten nach Bagdad ausgeflogen haben.
8. Februar 2011, 12:13 Die staatliche ägyptische Zeitung Al-Akhbar zitiert Demonstranten auf dem Tahrir: „Wer kein Tränengas gerochen hat, spricht nicht in unserem Namen.“
8. Februar 2011, 17:10 Das Gebäude des ägyptischen Kabinetts wird von Demonstranten belagert. Premier Schafik kann nicht nach Hause fahren.
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9.2.2011
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taz.de, 9.2.2011
Die Töchter der Revolution
Frauen sind mittlerweile fester Teil der Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Sie fühlen sich befreit und respektiert. Und auch die Männer sind positiv überrascht.
Kairo. Männer rechts, Frauen links, lautet die Anweisung am Eingang zum Tahrir-Platz an alle, die versuchen, von der Qasr-el-Nil-Brücke auf den Platz zu kommen. Es ist das erste und das letzte Mal, dass die Geschlechter hier getrennt werden. Denn auf dem Platz selbst herrscht Gleichberechtigung. Auf dem Tahrir wird nicht nur Politik gemacht, hier verändert sich die ägyptische Gesellschaft. Zum Beispiel die Rolle der Frau.
Links, dort wo die Frauen abgebogen sind, steht Sahla Fawzi, eine 23-jährige Anwaltsreferendarin. Ihre Aufgabe ist es, die ankommenden Frauen nach Waffen zu untersuchen, ihre Taschen zu überprüfen und nach ihrem Ausweis zu fragen. Sie macht das sehr höflich, und auch die Frauen, die sich durchsuchen lassen, bleiben freundlich. „Das ist ja zu unserem eigenen Schutz“, sagt eine von ihnen.
Sahla gehört den konservativen Muslimbrüdern an, das ist sichtbar auch an ihrer Kleidung, einem rosenfarbenen Umhang, der nur ihr Gesicht und ihre Hände frei lässt. Sie hat sich freiwillig zum Überwachen der Eingänge gemeldet. Vor vier Tagen kam sie aus einer Kleinstadt im Nildelta. Sie übernachtet auf dem Platz, entweder in einer Moschee oder in einem Zelt.
Gleich hinter dem Eingang steht eine Gruppe von Frauen. Sie schwenken ägyptische Fahnen und singen als eine Art revolutionäre Cheerleader ein Willkommenslied. Die meisten von ihnen sind westlich gekleidet, einige tragen Goldschmuck. Sie gehören eher der Oberschicht an.
Eine Gruppe junger, ebenfalls westlich gekleideter Studentinnen mit offenen, im Wind wehenden Haaren kommt über den Platz, bepackt mit mehreren Plastiktüten. „Darin befindet sich Proviant für diejenigen, die hier übernachten“, sagt Rana Essam. „Wir haben uns über Facebook organisiert und bringen jeden Tag in mehreren Schichten Essen hierher“, berichtet die Ingenieursstudentin. Das Geld für die Einkäufe sammeln sie in ihren Familien und bei Freunden.
200 Menschen hören ihr zu
Hinter ihr, auf einer improvisierten Bühne, steht eine in Schwarz gekleidete ältere Frau und erzählt ins Mikrofon die Geschichte ihres Sohnes, den die Staatssicherheit vor zwei Jahren in der Oase Fayoum abgeholt hat. Es ist die übliche Geschichte von Folter, Misshandlung und einem Menschen, der ohne jegliche faire Gerichtsverhandlung in den Kerkern Mubaraks verschwunden ist. Sie ringt nach Worten, aber eine Menge von gut 200 Menschen steht vor der Bühne und hört ihr geduldig zu.
Schräg gegenüber befindet sich das Lazarett des Tahrir, der neue Arbeitsplatz von Hind Fathi. Sie ist für die Medikamentenausgabe zuständig. Gekommen ist sie, weil sie sich nützlich machen wollte. Jeder könne hier das einbringen, was er oder sie gelernt habe. Sie kommt um sieben Uhr morgens und geht erst spät nachts nach Hause, um ein paar Stunden zu schlafen, erklärt sie, entschuldigt sich und dreht sich wieder um, um weiterzuarbeiten. Sie hat wenig Zeit.
Die Fotografin Amira Koutan ist gekommen, um das alles zu dokumentieren. An diesem Mittwoch konzentriert sie sich vor allem auf die selbst gemalten Plakate und andere Ausdrucksformen der Demonstranten. „Das ist eine spontane Kreativität, wie ich sie noch nie erlebt habe“, meint sie. Neben ihr steht eine Gruppe um eine selbst gebastelte Marionette des von Mubarak beauftragten Vizepräsidenten Omar Suleiman.
Fingerfertig lässt sie der Marionettenspieler über den Platz tanzen.
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