Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
hätte liegen sollen, war nur welkes Laub. Langsam richtete sie den Blick auf den, der sie hielt.
Stefan. In dieser Nacht hatte es zuviel Angst gegeben. Zuviel war auf sie eingestürmt. Elena war wie betäubt. Sie konnte nicht länger reagieren und ihn nur noch verwundert anstarren.
In seinen Augen lag eine solche Trauer. Diese Augen, in denen ein grünes Feuer gebrannt hatte, waren jetzt dunkel, leer und ohne jede Hoffnung. Diesen Blick hatte Elena schon einmal an ihm gesehen. In der ersten Nacht in seinem Zimmer. Doch diesmal war es schlimmer. Denn jetzt mischten sich in die Trauer Selbsthaß und bittere Vorwürfe. Elena konnte es nicht länger ertragen. „Stefan“, flüsterte sie und fühlte, wie die tiefe Trauer ihre eigene Seele ergriff. Immer noch war sein Mund rot verschmiert, doch das weckte in ihr neben der instinktiven Furcht jetzt Mitleid. So allein zu sein, so fremd und so schrecklich allein... „Oh, Stefan.“ In seinen leeren Augen lag keine Antwort. „Komm“, sagte er leise und führte sie zurück zum Haus. Stefan schämte sich, als sie die dritte Etage erreicht hatten und er das Ausmaß der Verwüstung in seinem Zimmer musterte. Daß ausgerechnet Elena das sehen mußte, fand er unverzeihlich. Aber vielleicht war es ganz passend, wenn sie erkannte, was er wirklich war und wozu er imstande war. Sie bewegte sich langsam und wie benommen auf das Bett zu und setzte sich. Dann richtete sie den Blick auf ihn. „Erzähl mir alles.“ Er lachte kurz und bitter auf. Als sie bei dem Geräusch zusammenzuckte, haßte er sich noch mehr. „Was willst du wissen?“ fragte er. Er stellte einen Fuß auf den Deckel eines umgestürzten Koffers und sah sie fast trotzig an. Dann deutete er auf das Zimmer. „Wer das getan hat? Ich.“ „Du bist stark“, sagte sie und betrachtete einen der durch den Raum geschleuderten Koffer. Als ob sie sich erinnerte, was auf dem Dach geschehen war, fügte sie noch hinzu: „Und schnell.“ „Stärker als ein Mensch“, erwiderte er und betonte das letzte Wort. Warum wich sie nicht vor ihm zurück? Warum betrachtete sie ihn nicht mit dem Haß, der ihm sonst entgegenschlug? Es war ihm inzwischen egal, was sie dachte.
„Meine Reflexe sind schneller, und ich bin elastischer. Das muß ich auch sein. Ich bin ein Jäger“, sagte er hart. Etwas in ihrem Blick erinnerte ihn daran, wobei sie ihn unterbrochen hatte. Er wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab, dann griff er schnell zu dem Glas Wasser, das unbeschädigt auf seinem Nachttisch stand. Er fühlte, wie sie ihn beobachtete, während er trank, und wischte sich wieder den Mund ab. Oh, er hatte sich selbst belogen. Was sie von ihm hielt, bedeutete ihm trotz allem immer noch viel. „Du kannst essen und trinken... und andere Dinge“, flüsterte sie. „Ich brauche es nicht“, erwiderte er leise und fühlte sich müde und ausgelaugt. „Ich habe nichts anderes nötig.“ Plötzlich fuhr er herum und fügte leidenschaftlich hinzu: „Du behauptest, ich sei schnell, aber gerade das bin ich nicht. Hast du das Wort ,schnell’ schon einmal in der Verbindung mit ,tot’ gehört, Elena? Schnell heißt lebendig. Es trifft auf jene zu, die leben. Ich gehöre zu der anderen Hälfte.“ Er konnte sehen, daß sie zitterte. Aber ihre Stimme war ruhig, und sie wandte den Blick nicht von ihm ab.
„Erzähl mir alles, Stefan. Ich habe ein Recht, es zu erfahren.“
Diese Worte hatte er schon einmal gehört. Und sie waren jetzt so wahr wie beim ersten Mal. „Ja, das hast du wohl.“ Seine Stimme war müde und hart. Er starrte ein paar Momente lang aus dem zerbrochenen Fenster, dann sah er sie wieder an und sagte nüchtern: „Ich wurde im fünfzehnten Jahrhundert geboren. Glaubst du das?“ Sie schaute auf die verstreuten Gegenstände, die er mit einer heftigen Armbewegung von der Truhe geschleudert hatte. Die Goldmünzen, den Achatbecher, seinen Dolch... „Ja“, antwortete sie leise. „Ich glaube dir.“ „Und?
Willst du mehr wissen? Wie ich zu dem geworden bin, was ich bin?“ Als sie nickte, drehte er sich wieder zum Fenster um. Wie sollte er es über sich bringen, ihr davon zu erzählen? Er, der so lange allen Fragen ausgewichen war. Der ein solcher Meister im Verbergen und Betrügen geworden war. Es gab nur einen Weg. Die völlige Wahrheit, ohne irgend etwas zu verschweigen.
Alles vor ihr offen auszubreiten, wie er es bei noch keinem Menschen getan hatte. Und er wollte es. Obwohl er wußte, daß sie sich am Ende von ihm
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