Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht
Lehrers. „Wohl kaum!“ fuhr er das Mädchen an, und die Klasse verstummte schlagartig. „Sie halten das wohl für einen Scherz? In jenen Tagen beherrschten Schüler Ihres Alters bereits mehrere Sprachen perfekt. Und außerdem waren sie beschlagen in Mathematik, Philosophie, Astronomie und Grammatik. Sie waren bereit, eine Universität zu besuchen, wo natürlich jeder Kurs in lateinischer Sprache abgehalten wurde.
Football war absolut das letzte...“ „Entschuldigen Sie bitte.“ Die ruhige Stimme unterbrach den Lehrer mitten in seinem Ausbruch. Alle drehten sich um und starrten Stefan an. „Was?
Was haben Sie gesagt?“ „Ich sagte, entschuldigen Sie.“ Stefan stand auf und nahm seine Sonnenbrille ab. „Aber Sie haben unrecht. Die Schüler in der Renaissance wurden dazu ermuntert, an allen möglichen Sportarten teilzunehmen. Sie lernten auf der Schule, daß ein gesunder Geist in einem gesunden Körper wohnt. Und natürlich haben sie auch Mannschaftsspiele veranstaltet, wie Kricket, Tennis und sogar Football.“ Er sah das rothaarige Mädchen an und lächelte. Sie lächelte dankbar zurück. Dann wandte er sich wieder an den Lehrer und fuhr fort: „Aber das wichtigste waren gute Manieren und Höflichkeit. Ich bin sicher, Ihre Lehrbücher können Ihnen darüber Auskunft geben.“ Die Schüler ringsum grinsten. Das Gesicht des Lehrers war dunkelrot, er rang nach Worten. Doch Stefan hielt seinen Blick fest, und am Ende war es der Lehrer, der wegsah. Es läutete. Stefan setzte schnell seine Sonnenbrille auf und sammelte seine Bücher ein. Er hatte schon mehr Aufmerksamkeit erregt, als er sich erlauben durfte, und er wollte dem blonden Mädchen nicht wieder begegnen. Außerdem mußte er schnell hier raus. Ein nur zu bekanntes Brennen breitete sich in seinen Adern aus. Als er an der Tür war, rief jemand: „He, haben die damals wirklich Football gespielt?“ Stefan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und erwiderte über die Schulter: „Oh, ja. Manchmal mit den abgeschlagenen Köpfen der Kriegsgefangenen.“ Elena sah ihm nach, als er hinausging. Er hatte sich ostentativ von ihr abgewandt. Er hatte sie absichtlich vor den Kopf gestoßen, und das vor Caroline, die die Szene wie ein Habicht beobachtet hatte. Tränen brannten in Elenas Augen, aber im Moment beherrschte sie nur ein Gedanke. Sie würde ihn erobern, auch, wenn es sie umbringen sollte. Und sogar dann, wenn es sie beide umbrachte.
3. KAPITEL
Das erste Licht der Morgendämmerung färbte den Nachthimmel rosa und hellgrün. Stefan beobachtete das Farbenspiel vom Fenster seines Zimmers in der kleinen Pension. Er hatte dieses Zimmer absichtlich gemietet wegen der Falltür in der Decke, die zu einem kleinen Rundgang auf dem Dach führte. Im Moment war die Falltür geöffnet, und ein kühler, feuchter Wind blies die herabgelassene Leiter hinab.
Stefan war vollständig angezogen, aber nicht, weil er schon früh aufgestanden war. Er hatte gar nicht geschlafen.
Gerade war er von einem Ausflug in die Wälder zurückgekehrt.
An seinen Stiefeln klebten noch feuchte Blätter. Sorgfältig wischte er sie ab. Die Bemerkungen der Schüler gestern waren ihm nicht entgangen. Er wußte, daß sie ihn wegen seiner Kleidung angestarrt hatten. Er bevorzugte immer das Beste.
Nicht aus Eitelkeit, sondern weil es sich einfach so gehörte.
Sein Lehrer hatte oft zu ihm gesagt: „Ein Adliger sollte sich seiner Stellung gemäß kleiden. Wenn er das nicht tut, zeigt er damit seine Mißachtung den Mitmenschen gegenüber.“ Jeder hatte seinen Platz in der Welt. Und seiner war im Kreis des Adels gewesen. Vor langer Zeit... Warum verweilte er bei diesen Dingen? Natürlich hätte ihm klar sein müssen, daß ihm seine eigenen Schultage ins Gedächtnis zurückkommen würden, wenn er die Rolle eines Schülers spielte. Jetzt stürzten die Erinnerungen so schnell und heftig auf ihn ein, als würde er in einem Buch blättern und hier und da eine Eintragung lesen.
Ein Bild war wieder ganz lebendig. Das Gesicht seines Vaters, als Damon ankündigte, er würde die Universität verlassen.
Stefan hatte seinen Vater noch nie so wütend erlebt...
„Was soll das heißen, du gehst nicht mehr zurück?“ Giuseppe war normalerweise ein gerechter Mann. Doch er neigte zu Wutausbrüchen. Ein solcher war jetzt durch seinen ältesten Sohn entfacht worden. Der tupfte sich gerade die Lippen mit einem Seidentaschentuch ab. „Ich hätte gedacht, daß du einen solch einfachen Satz verstehst,
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