Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
„Das mach ich schon selbst.“ Sie hörte, wie ihre Stimme, der Panik nah, zitterte. „Es geht schon.“ Sie floh ins Badezimmer, lehnte sich mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür und versuchte, zu Atem zu kommen. Am meisten hatte sie jetzt Angst davor, sich selbst zu sehen. Schließlich näherte sie sich langsam dem Spiegel über einem der Waschbecken. Sie zitterte, als sie allmählich ihr Bild auftauchen sah. Zentimeter um Zentimeter kroch sie vorwärts, bis sie sich ganz betrachten konnte. Ihr Spiegelbild starrte sie an. Sie war geisterhaft blaß, unter den Augen lagen violette Schatten, und ihr Blick war ängstlich und gehetzt. Blutspuren beschmierten ihr Gesicht.
Vorsichtig drehte sie leicht den Kopf und hob das Haar hoch.
Fast hätte sie laut geschrien, als sie entdeckte, was sich darunter befand. Zwei kleine Wunden, frisch und offen, hoben sich blutigrot von ihrem weißen Hals ab.
9. KAPITEL
„Ich weiß, daß ich es bereuen werde. Aber ich muß es dich trotzdem fragen.“ Matt richtete seine müden, rotgeränderten Augen von der Straße weg auf seinen Beifahrer. „Kannst du mir verraten, warum wir diese speziellen, halbtropischen Pflanzen, die außerdem total schwer zu finden waren, so unbedingt für Elena brauchen?“
Stefan warf einen Blick auf den Rücksitz, auf das Ergebnis ihrer langen Suche durch dorniges Gestrüpp und scharfes mannshohes Gras. Die Pflänzchen mit ihren grünen Stengeln und kleinen Blättern sahen wie gewöhnliches Unkraut aus. Die vertrockneten Reste der
Blüten waren kaum noch zu sehen, und niemand hätte behaupten können, daß die ganze Blume sehr dekorativ war.
„Okay. Wie wär's damit? Sie sind gut gegen müde Augen“, erklärte er nach kurzem Nachdenken. „Oder vielleicht auch als Kräutertee?“
„Willst du mir das im Ernst weismachen?“ „Nein.“ „Gut. Sonst hätte ich dich auch eiskalt k. o. geschlagen.“ Ohne Matt anzusehen, lächelte Stefan. Ein neues Gefühl war in ihm erwacht. Etwas, das er seit fast fünf Jahrzehnten außer bei Elena bei niemandem mehr gespürt hatte. Er fühlte sich akzeptiert. Jemand brachte ihm Wärme und Freundschaft entgegen. Matt vertraute Stefan, ohne die Wahrheit über ihn zu kennen. Und er glaubte ihm. Stefan war nicht sicher, ob er das verdiente, aber er konnte nicht leugnen, was es für ihn bedeutete. Es machte ihn fast wieder zu einem richtigen Menschen.
Elena starrte ihr Spiegelbild an. Es war kein Traum gewesen.
Zumindest nicht ganz. Die Wunden in ihrem Hals bewiesen es.
Und jetzt, wo sie sie gesehen hatte, fühlte sie auch die damit verbundene leichte Benommenheit und die Mattigkeit ihrer Glieder.
Es war ihre eigene Schuld gewesen. Sie hatte sich zu sehr darauf konzentriert, Bonnie und Meredith zu warnen, keinen Fremden ins Haus zu lassen. Und darüber hatte sie vergessen, daß sie selbst Damon bereits in Bonnies Haus eingeladen hatte. Es war in der Nacht geschehen, in der sie in Bonnies Eßzimmer um Mitternacht bei diesem dummen Spiel den Tisch gedeckt und gerufen haute: ,Komm herein!’
Diese Einladung galt für immer. Damon konnte jederzeit zurückkommen, sogar jetzt. Besonders jetzt, wo sie schwach war und leicht durch Hypnose dazu gebracht werden konnte, den Riegel wieder zu öffnen, um ihn zu ihr hereinzulassen.
Elena stolperte aus dem Badezimmer an Bonnie vorbei ins Gästezimmer. Sie griff nach ihrer Tasche und packte wahllos ihre Sachen zusammen. „Elena, du kannst nicht nach Hause gehen!“
„Hier kann ich auch nicht bleiben.“ Sie suchte nach ihren Schuhen, entdeckte sie beim Bett und ging darauf zu. Plötzlich hielt sie inne. Auf dem zerknüllen Leinen des Betts lag eine einzelne schwarze Feder. Sie war sehr groß, mit einem dicken, wächsern aussehenden Kiel. Es hatte fast etwas Obszönes an sich, wie sie sich da dunkel von dem unschuldigen, weißen Lacken abhob.
Elena wurde übel. Sie wandte sich ab und rang nach Atem. „Ist schon gut“, beruhigte Bonnie sie. „Wenn dich das alles so mitnimmt, werde ich Dad bitten, dich nach Hause zu fahren.“ „Du mußt mitkommen.“ Elena war plötzlich aufgegangen, daß Bonnie in diesem Haus genauso wenig sicher war wie sie selbst. Dir oder denen, die du liebst...
Damons Drohung fiel ihr wieder ein. Sie drehte sich um und packte Bonnie am Arm. „Du mußt, Bonnie. Ich brauche dich.“
Sie bekam ihren Willen. Die McCulloughs hielten sie für hysterisch,
zu
überempfindlich
und
einem
Nervenzusammenbruch nahe. Doch schließlich gaben sie nach.
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