Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
erlauben würden, Damons Geist aus der Ferne zu kontrollieren. Sie kamen, zahllos, endlos.
Shinichi beobachtete weiterhin den Zustrom, das helle Aufleuchten innerer Organe, die in Damon aufblitzten. Nach einer Weile begann er von Neuem zu singen:
Die Tage sind kostbar, verliert sie nicht.
Blumen verwelken, und ihr werdet es auch ...
Kommt zu mir, ihr wunderhübschen Jungfern,
Solange noch jung und hübsch ihr seid.
Damon träumte, dass er das Wort »vergessen« hörte, als würde es von hundert Stimmen geflüstert. Und noch während er versuchte, sich daran zu erinnern, was er vergessen sollte, löste es sich auf und verschwand.
Er erwachte allein auf dem Baum, mit einem Schmerz, der seinen gesamten Körper erfüllte.
KAPITEL SECHZEHN
Stefano war überrascht festzustellen, dass Mrs Flowers auf sie wartete, als sie von ihrem Picknick zurückkamen. Und - was ebenfalls ungewöhnlich war - sie hatte etwas zu sagen, das sich nicht auf ihren Garten bezog.
»Oben liegt eine Nachricht für dich«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf die schmale Treppe. »Sie kam von einem dunkelhaarigen jungen Burschen - er sah ein wenig so aus wie du. Er wollte nicht, dass ich dir etwas ausrichte. Hat nur gefragt, wo er eine Nachricht hinterlassen könne.«
»Dunkelhaariger Bursche? Damon?«, fragte Elena.
Stefano schüttelte den Kopf. »Weshalb sollte er mir Nachrichten hinterlassen?«
Er ließ Elena bei Mrs Flowers zurück und eilte die völlig verrückt im Zickzack angelegte Treppe hinauf. Oben angekommen, fand er ein Stück Papier, das unter der Tür hindurchgeschoben worden war.
Es war eine »Ich denke an dich«-Karte, ohne Umschlag. Stefano, der seinen Bruder kannte, bezweifelte, dass für die Karte bezahlt worden war - jedenfalls nicht mit Geld. Auf der Innenseite der Karte standen mit dickem, schwarzem Filzstift die Worte geschrieben:
ICH BRAUCHE DAS NICHT.
DACHTE, DER HEILIGE STEFANO KÖNNTE ES BRAUCHEN.
TRIFF MICH HEUTE NACHT AN DEM BAUM,
AN DEM DIE MENSCHEN DEN UNFALL HATTEN.
NICHT SPÄTER ALS VIER UHR DREISSIG AM MORGEN.
ICH WERDE DIR DIE EINZELHEITEN LIEFERN.
D.
Das war alles ... bis auf eine Webadresse.
Stefano wollte die Karte gerade in den Papierkorb werfen, als er von Neugier übermannt wurde. Er schaltete den Computer ein, rief die entsprechende Webseite auf und schaute auf den Bildschirm. Eine Weile geschah gar nichts. Dann erschienen dunkelgraue Buchstaben auf einem schwarzen Hintergrund. Auf einen Menschen hätte es den Eindruck gemacht, als sei der Bildschirm vollkommen leer.
Für Vampire aber mit ihrer größeren Sehschärfe war das Grau auf Schwarz zwar schwach, aber doch deutlich zu erkennen.
Bist du diesen Lapislazuli leid?
Willst du Urlaub auf Hawaii?
Kannst du Flüssignahrung nicht mehr sehen?
Dann besuche Shi no Shi - dahin musst du gehen.
Stefano machte Anstalten, die Seite zu schließen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Er betrachtete eine unauffällige kleine Annonce unter dem Gedicht, bis er Elena an der Tür hörte. Dann fuhr er den Computer schnell herunter und ging ihr entgegen, um ihr den Picknickkorb abzunehmen. Er verlor kein Wort über die Karte oder über das, was er auf dem Computerbildschirm gesehen hatte. Aber im Laufe der Nacht dachte er mehr und mehr darüber nach.
»Oh! Stefano, du wirst mir noch die Rippen brechen! Ich kriege keine Luft mehr!«
»Entschuldige. Ich habe einfach das Bedürfnis, dich im Arm zu halten.«
»Nun, ich habe das gleiche Bedürfnis.«
»Danke, Engel.«
Alles war still in dem Raum mit der hohen Decke. An einem der Fenster war die Jalousie nicht heruntergelassen und so fiel das Mondlicht herein. Am Himmel schien sich der Mond verstohlen zu bewegen und der Strahl des Mondlichts folgte ihm auf dem Holzboden.
Damon lächelte. Er hatte einen langen, geruhsamen Tag hinter sich und jetzt beabsichtigte er, eine interessante Nacht zu erleben.
Der Einstieg durch das Fenster war nicht ganz so leicht, wie er erwartet hatte.
Als er in Gestalt einer riesigen, glänzenden, schwarzen Krähe eintraf, hatte er die Absicht, auf dem Fenstersims zu balancieren und dort seine menschliche Gestalt anzunehmen, um das Fenster zu öffnen. Aber das Fenster war mit einer Falle versehen - es war durch eine unsichtbare Macht mit einem der Schlafenden dahinter verbunden.
Damon grübelte darüber nach; er hatte Angst, Druck auf diese empfindliche Verbindung auszuüben. Plötzlich flatterte etwas neben ihn.
Dieses Etwas sah nicht gerade nach einer
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